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Das Vermächtnis des Martí Barbany

Das Vermächtnis des Martí Barbany

Titel: Das Vermächtnis des Martí Barbany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chufo Lloréns
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erinnerte sich deutlich an den Boten, der vom Pfarrer seiner Gemeinde begleitet wurde und die schlechte Nachricht brachte. Es war der Abend eines eiskalten Novembertags. Der Nordwind heulte mit teuflischer Wut. Er schleppte alles fort, was nicht gut verwahrt oder sorgfältig festgebunden war. Er riss Fensterläden ab, die jemand aus Unachtsamkeit offen gelassen hatte, und er warf sogar große Bäume um. Das Hausdach krachte gerade und brachte Jammerlaute wie ein verletztes Tier hervor, als jemand an die Tür klopfte. Das Feuer im Kamin brannte, und die Holzscheite knackten sehr anheimelnd. Beim Feuer aßen die drei Pächter des Hofes, und an dem langen Tisch, der seitlich davon stand, nahm Martís Mutter den Ehrenplatz ein. Dort saßen außerdem die Wirtschafterin Tomasa, der treue Mateu Cafarell, der seit seiner fehlgeschlagenen Hochzeit bei Emma geblieben war, und Martí selbst. Wildes Gebell kündigte den Tischgästen an, dass draußen etwas Ungewöhnliches vor sich ging, und eine wohlbekannte Stimme erklang gleichzeitig mit dem Türklopfer.
    »Macht auf, Emma. Ich bin es, Don Sever.«
    Der alte Gärtner, der auch Hausknecht und Kutscher war, stellte seinen Napf beiseite, nahm eine Öllampe in die rechte Hand und lief mit unsicheren Schritten zur Tür. Die Wirtschafterin trocknete sich inzwischen mit einem Küchentuch die Hände ab und wechselte einen unruhigen, angstvollen Blick mit Martís Mutter. Auf ein Zeichen seiner Herrin hob
der Mann den dicken Querbalken aus Eichenholz hoch und schob die Riegel zurück. Das Tor ging auf. Die Flamme flackerte einen Augenblick im Luftzug, und in der Türöffnung erschien die ausgemergelte Gestalt des Pfarrers. Ihn begleitete ein Krieger, von dessen Haltung und Größe sich Martí beeindrucken ließ, vielleicht, weil er sich so sehr von dem anderen unterschied. Kaum hatte er ihn angesehen, da zeigte ihm der Gesichtsausdruck seiner Mutter deutlich, dass er schlimme Neuigkeiten brachte. Ihre Stimme, die in seinem Innern immer noch nachhallte, bestätigte seine Vorahnung.
    »Martí, geh in dein Zimmer.«
    Er erinnerte sich, dass er rasch fortschlich und Sultán, sein junges Hündchen, in den Armen mitnahm, doch sobald er die Tür geschlossen hatte, die seine kleine Kammer vom großen Raum trennte, presste er sein Ohr ans Holz und lauschte dem Stimmengewirr, in das sich außer den bekannten Stimmen seiner Mutter und seines Lehrers auch die ernste und feierliche Stimme des Boten mischte. Tief prägte sich ihm der kalte Kommentar seiner Mutter ein, nachdem sie die Unglücksbotschaft gehört hatte: »Viel zu lange hat es schon gedauert, bis das geschehen ist, was ich seit Langem erwartet habe.«
    Nach einer ganzen Weile zog sich die Abordnung zurück. Wieder waren die Riegel und das klägliche Ächzen der Türangeln zu hören. Martí merkte, dass seine Mutter mit der Wirtschafterin und dem alten Hausknecht flüsterte. Als er ahnte, dass seine Mutter hereinkommen würde, um ihm Gute Nacht zu sagen, zog er sich schnell aus, und nachdem er sich ein Wollsamthemd übergestreift hatte, das ihm bis zu den Kniekehlen reichte, schlüpfte er unter die Bettdecken. Die Tür ging auf, und das zitternde Licht einer Kerze eilte seiner Mutter voraus und zeichnete einen hellen Bogen auf die Bodenplatten. Nachdem sie den Leuchter auf einen Tisch gestellt hatte, setzte sie sich an den Bettrand, und Martí spürte, dass sich ihre warme Hand auf seine Stirn legte. Mit halb geschlossenen Augen betrachtete er den riesigen Schatten seiner Mutter, der sich auf der Wand im Hintergrund abzeichnete. Die Umstände der damaligen Zeit hatten diese Frau hart gemacht. Ihre Stimme klang ruhig und sachlich wie die eines Menschen, der etwas Unabänderliches ankündigt, das schon längst bekannt ist, weil man es erwartet hat.
    »Martí, mein Sohn. Eigentlich warst du immer ein Waisenkind, aber jetzt bist du es wirklich. Dein Vater ist bei dem gestorben, was ihm die größte Freude machte: das Kriegführen. Als einziges Erbe hinterlässt er
einen Ring, den ich weiter verwahren und dir zu deinem achtzehnten Geburtstag geben soll. Noch vor diesem Tag erhalte ich Anweisungen, was du damit tun und wohin du gehen musst.«
    Obwohl der Verstorbene sein Vater war, spürte Martí keinen Kummer und keinen Schmerz. Er richtete sich im Bett auf und umarmte seine Mutter. Ihre üppigen Brüste bebten, und das zeigte ihm, dass diese starke Frau weinte.
    In dieser Nacht beschloss er, dass er irgendwann fortgehen würde: Er wollte sich

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