Das Vermächtnis des Templers
geistiger Besinnung, um diese große Aufgabe aus reinem Herzen auf uns nehmen zu können. Ganz im Sinne der Templer sind wir Wegbereiter des Glaubens. Wir arbeiten am neuen Jerusalem. Wir sind jene Steine, die dereinst die große Kathedrale bilden werden.
Nachdem ich meine Geschichte noch einmal gelesen habe, scheint es mir, als schließe sich der Bogen des Lebens. Ich erinnere mich an das, was ich vor langen Jahren in der Kammer des Todes auf das Papier geschrieben habe: Das ist der Tod! Was ist das Leben? Nun weiß ich, dass alles, was Ihr auf diesen Seiten lesen könnt, die Antwort auf diese Frage in sich trägt.
Die Glocke hat zur Vigil geläutet. Es ist Zeit. Das Fieber ist angestiegen, und auch der Husten ist wieder da. Aber längst bin ich bereit, aufzustehen und davonzugehen. Der Herr wird mich bald zu sich nehmen. Es war mein Wunsch, dieses Leben noch einmal in Gedanken zu durchlaufen, um mir selbst Rechenschaft abzulegen. Werde ich die Gnade unseres Herrn finden? Wie armselig sind wir Menschen. Wie kurz ist unsere Zeit. Unser Leben: nicht mehr als ein rätselhafter Hauch.
Längst ist Mitternacht vorbei. Ich hoffe auf ruhigen Schlaf und gute Träume. Ihr wisst, dass vieles davon abhängt, wie man einschläft. Ein ganzes Leben lang habe ich mich auf diesen Augenblick vorbereitet.
Bald wird Schweigen sein. Lebt wohl!
Es grüßt Euch Euer Freund
Johannes von Nienburg, Abt zu Lucca
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Nachwort
Historiker haben es nicht einfach. Ausgehend von einer Fragestellung werten sie eine Vielzahl von Quellen aus. Sie wägen akribisch den Aussagewert jedes Dokuments ab, prüfen dessen situativen Kontext, die Perspektivität und das Interesse des jeweiligen Urhebers und nicht zuletzt den Weg, den die Überlieferung einer Quelle bis auf den heutigen Tag genommen hat. Dann erst, nach einer langen Zeit oft mühsamer Forschungsarbeit, kann ein Historiker mit der nötigen Vorsicht eine Aussage über die Vergangenheit treffen. Und selbst, wenn er sich noch so sehr um Objektivität bemüht, wird es ihm doch nie ganz gelingen, seine ureigene Vorstellung der Dinge völlig auszublenden.
Der Autor eines historischen Romans könnte sich die Sache leichter machen. Er unterliegt nicht dem Selbstverständnis seriöser Wissenschaft, könnte also munter draufloserzählen und die Vergangenheit ungehemmt als Kulisse seiner Phantasie verwenden.
Doch historische Romane werden von Menschen gelesen, die neben der Freude an Geschichten auch ein Interesse an Geschichte haben. Historische Romane prägen das Geschichtsbewusstsein ihrer Leser. Und so wird es für einen Autor, der seine Sache ernst nimmt, zur Pflicht, eben nicht einfach draufloszuerzählen.
Im vorliegenden Roman ist jedes Detail genauestens recherchiert. Die literarische Freiheit beginnt erst dort, wo auch die historische Forschung nicht weiter weiß, wo wir aus der Distanz der Zeit aufgrund nicht vorhandener Quellen keine eindeutigen Aussagen machen können. Doch auch über das eindeutig Recherchierbare hinaus bleibt die Freiheit des Autors eingeschränkt: Er kann nicht Zusammenhänge entwickeln, die für die gewählte Epoche völlig untypisch oder gar undenkbar wären. So wie er auf der einen Seite die Aufgabe hat, die ferne Zeit gegenwärtig zu machen, muss er auf der anderen Seite verhindern, dass Gegenwärtiges die Vergangenheit in ein unangemessenes Licht taucht.
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Fast alle in diesem Roman geschilderten Orte, Gebäude etc. sind bis auf den heutigen Tag erhalten. Die Kathedrale von Jumièges hat als Ruine überdauert. Wenn man am frühen Morgen in das kleine Dorf kommt und die Türme der Westfassade plötzlich inmitten des Nebels sichtbar werden, bleibt das nicht ohne Wirkung auf den Betrachter; ebensowenig wie ein Blick hinab von den Ruinen des Château Gaillard auf den großen Seinebogen in der Ebene von Les Andelys. Lebendiges Mittelalter begegnet uns noch heute: in Laon die Stadtmauer und die Tore, enge Gassen, jahrhundertealte Häuser, die Kapelle der Templer, heute Teil eines Museums, und natürlich die große Kathedrale. Die Klöster in Trier und in Köln. Der Dom zu Minden. Und schließlich Loccum, die besterhaltene Klosteranlage Norddeutschlands. Der Leser könnte die beschriebene Reise selbst antreten und würde alles auffinden, was im Roman geschildert wird, selbst jene architektonische Besonderheit, die das Geheimnis von Loccum ausmacht. Doch ein historischer Roman ist kein Reiseführer. Bei aller Genauigkeit im Detail ist die
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