Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
zu ihm hoch.
Draußen ging etwas zu Bruch. Klirren und Fluchen hallten durch das Schloss, genau wie aufgeregte Stimmen.
»Wer würde wohl sonst um diese Zeit alles in Grund und Boden rennen und auf seinem Weg aber auch nicht ein einziges Hindernis stehen lassen?«, fragte er zurück, befreite sich sanft aus dem Griff seiner Ziehmutter und schob umsichtig zwei Lehnstühle, die zwischen Tür und Morwena standen, näher an den Tisch heran. Er drehte sich wieder zu ihr um und fragte mit schalkhaftem Blinzeln: »Oder hättest du es lieber, wenn er dir der Länge nach vor die Füße fiele? Manchmal könnte man denken, er hätte einen Sehfehler. Dabei ist er gedanklich meist nur anders unterwegs als zu Fuß.«
Morwena schlug die Hand vor den Mund, um ein Kichern zu verstecken, aber in diesem Augenblick wurde auch schon die Tür aufgestoßen. Die hohen Flügel knallten gegen die Wand, und Derea fegte mit wehendem Umhang in den Raum, einen Diener dicht auf den Fersen. »Verzeiht, meine Königin! Er bleibt einfach nicht stehen. … Eure Waffen, Prinz, Eure Waffen!«
»Ist ja gut, ich hab’s doch gleich!« Trotz der Eile schaffte er es endlich, seinen Waffengürtel abzuschnallen, und die legendären Schwerter polterten unbeachtet zu Boden.
Der Diener klaubte sie auf, presste sie an sich und eilte mit ihnen aus dem Raum, als würde allein ihre Anwesenheit die Herrscherin gefährden.
Noch zwei Schritte und Derea ließ sich vor Morwena auf ein Knie sinken und senkte das Haupt. Er atmete geräuschvoll durch, räusperte sich unangenehm heftig und brachte, unterbrochen von Keuchen, hervor: »Meine Königin, … der Kommandant der Flammenreiter entbietet Euch … im Namen des ganzen Heeres … Glückwünsche zu Eurem Geburtstag.«
Vom Turm des Gebetshauses wurde das Ende des Tages ausgerufen.
»Uff!« Der Laut kam von tief unten, und dorthin sackten nun seine Schultern.
Ihre blauen Augen dagegen leuchteten wie noch nie an diesem Tag. »Die Königin dankt ihren ruhmreichen Flammenreitern! Erhebt Euch, Heerführer!«
Derea musste sich auf den Knien abstützen, um hochzukommen, schwankte auch in der Senkrechten leicht, aber seine Augen strahlten mit denen seiner Ziehmutter um die Wette.
Sie breitete die Arme aus. »Darf ich nun die Glückwünsche meines Sohnes entgegennehmen?«
Er machte einen Schritt auf sie zu, hielt aber inne und sah an sich herunter. Seine Kleidung war mit Schlamm bespritzt, und die Hände glänzten schwarz von Schweiß und Staub. Unbeholfen und gänzlich ohne Aussicht auf Erfolg versuchte er, sie erst an seinem dreckigen Umhang und dann an seiner genauso verdreckten Hose abzuwischen. Derweil ließ er seinen Blick erst über ihr hellblaues, kostbar besticktes Kleid wandern, dann wieder über seine Hände und murmelte schließlich: »Ich gratuliere dir von ganzem Herzen, Mutter.«
»Oh, Kind, ich kenne Schlachtfelder, und ich kenne lange Ritte. Die kannte ich schon, bevor du geboren wurdest. Ich fürchte Schweiß und Dreck daher nicht so sehr, wie du wissen solltest, und ich habe tatsächlich auch noch ein zweites Kleid.« Deutlich hörte man ein Glucksen in ihrer Stimme.
Als er immer noch zögerte, wurde ihre Stimme ungeduldig. »Mein Sohn?!«
»Nun denn! Wenn mich morgen deine Kammerfrau jagt, weil dein Kleid verdorben ist, sag ich aber, es sei deine Schuld gewesen.« Seine Augen blitzten, und mit Schwung schloss er sie in die Arme. »Ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute, Mutter! Ich wünsche dir Gesundheit und Frieden, und wenn es den nicht geben kann, Erfolg auf deinen Feldzügen. Ich wünschte, du könntest dein Leben endlich genießen. Du siehst nämlich so bezaubernd aus, und ich glaube einfach nicht, dass du älter geworden bist. Ich werde nie eine Frau für mich finden, weil einfach kein anderes weibliches Wesen so schön, liebevoll und doch so kühn und tapfer sein kann wie du. Es ist hübsch, wie du deinen Zopf gesteckt hast. Sieht aus wie eine Krone, und alle Damen, die was auf sich halten, werden dir in Kürze nacheifern.« Stürmisch küsste er sie auf die Wange.
Sie lachte auf, hielt seinen Kopf fest und küsste ihn auf Stirn und Mund. »Ich danke dir, und ich danke den Göttern, dass du wohlbehalten zu uns zurückgekehrt bist.«
Derea winkte ab. »Diesmal hatten sie es leicht. Das Hordenpack ist uns zahlenmäßig überlegen, aber gleichzeitig unglaublich durchschaubar. Wird ein Plan durchkreuzt, ändern sie ihn nicht, sie verlieren dann eben. Der Blaue Fluss gehört wieder
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