Das Vierte Siegel [Gesamtausgabe]
Malewi, du hast gehört, was gegen dich vorgebracht wurde. Es ist ein Vorwurf, der unweigerlich den Tod nach sich zöge, wenn er von uns bestätigt werden würde. Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen? Hast du die Waffenruhe gebrochen?«
Sie blickte nicht einmal hoch, sondern schluckte offensichtlich tapfer ein Schluchzen hinunter und nickte nur stumm.
»Du hast also deinen Ziehvater, Hexenmeister Maluch, erdolcht?«, fragte er weiter, und sie nickte erneut, diesmal mit bebenden Schultern.
»Aus welchem Grund denn nur?«
Auch jetzt erhielt er nur ein Schweigen und zuckte die Achseln.
»Keinerlei Verteidigung? Nun, denn …«, hob er an, wurde nun aber von seiner Tochter unterbrochen.
»Wartet! Sie tat es aus höherem Zwang.«
Marga wandte sich Juna zu. »Erkläre dem Gericht die Umstände der Tat. Erzähle auch hier, was du mir erzählst hast.«
Die Hexentochter sah auch jetzt nicht hoch, sondern schüttelte nur stumm den Kopf und schluchzte hörbar.
Marga sah ihren Vater an. Sie hüstelte, schickte ein Gebet zu den Göttern, dass die ihr diese Lügen verzeihen mögen, und erklärte mit tonloser Stimme: »Als der von Juna gewählte Beistand werde ich dann für sie sprechen und berichten, was sie zuvor mir mitgeteilt hat.«
Erneut holte sie tief Luft, dachte an Derea und Canon und ihr Versprechen und sprach weiter: »Der Hexenmeister hatte die eigene Niederlage vorhergesehen, und er hatte im Traum sich selbst am Galgen gesehen. Der Gedanke daran, so bar jeder Würde und qualvoll zu enden, war ihm unerträglich. Er vertraute sich dem einzigen Menschen an, der ihn wegen seiner Feigheit nicht verhöhnen würde, seiner geliebten Ziehtochter Juna, und bat sie darum, ihn schnell und schmerzlos zu töten. Juna, die zu diesem Zeitpunkt noch an einen Sieg Camoras glaubte, lehnte dieses Ansinnen entsetzt ab. Ohnehin hätte sie es niemals übers Herz gebracht, den einzigen Menschen zu töten, der ihr immer mit Liebe begegnet war. Aber der Hexenmeister war fest entschlossen, sein Ende in den Armen seiner Tochter zu finden. Er belegte sie mit einem Zauber, drückte ihr seinen Dolch in die Hand und führte ihre Hand. Erst mit seinem Tod verschwand der Zauber, und Juna war zu fassungslos und viel zu sehr in ihrer Trauer gefangen, um einen klaren Gedanken fassen zu können, und versuchte nur noch den Ort des Schreckens zu verlassen. Sie sagte mir, dass sie das Todesurteil, ohne zu zögern, annehmen werde, da sie mit dem Gedanken daran, ihren geliebten Ziehvater erstochen zu haben, ohnehin nicht weiterleben könne. Aus diesem Grund schweigt sie jetzt. Doch ich bin der Meinung, dass Hexenmeister Maluch sie nur als willenlose Waffe für seinen Freitod wählte und eine Verurteilung daher nicht gerechtfertigt wäre.«
Darius musterte seine bleiche Tochter, die jetzt seinen Blick mied, mit unergründlicher Miene und blickte dann zu Juna. »Stimmt es, was dein Beistand uns gerade berichtete?«
Zum ersten Mal sah die Hexentochter hoch, und ihre schönen Augen waren tränenverhangen. »So war es, Fürst. Ich allein habe meinen Ziehvater getötet, den ich über alles geliebt habe. Sein Blut klebt jetzt an meinen Händen. Ich habe den Tod verdient und nehme den Schuldspruch an.«
Schluchzend senkte sie wieder den Kopf, und durch ihren Körper lief ein Beben.
Marga wurde erneut übel, weil sie deutlich spürte, dass das Beben echt war, aber lediglich ein inneres Lachen zum Ausdruck brachte. Sie wusste auch, dass ihr Vater kein Wort von der Geschichte glaubte. Viel zu ausdruckslos war dafür seine Miene.
»Wer sagt uns, dass das alles stimmt?«, fragte einer der Hordenführer und sah Juna an. »Der Hexenmeister kann schließlich nicht mehr widersprechen.«
Fürst Menides betrachtete unterdessen die kleine Waffe auf dem Tisch genauer. »Könnte das der Dolch des Hexenmeisters gewesen sein?«
Ein Hordenführer nickte umgehend. »Das war sein Dolch. Ich erkenne die Schriftzeichen. Sie stellen wohl irgendeinen Zauberspruch dar. Aber er hat ihn vor dem Zweikampf abgelegt.«
»Wisst Ihr das genau?«
»Nein, natürlich nicht! Aber selbst, wenn er ihn bei sich getragen hätte, wäre das immer noch kein Beweis dafür, dass das, was sie sonst noch sagt, auch der Wahrheit entspricht.«
»Nun, aber zumindest könnte es ein Hinweis darauf sein, dass der Hexenmeister selbst und nicht sie gegen das Verbot, eine Waffe zu tragen, verstoßen hat«, warf Darius nüchtern ein.
Eine Weile lang sahen die vier Herren nachdenklich vor sich
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