Das wahre Leben
Jolanda befreundet â¦Â»
«Nein, das waren wir nicht», sagte Erika. «Aber vielleicht solltest du trotzdem nichts sagen.»
«Es ist schlimm genug, dass du jung bist», sagte Mona. «Und dann hast du einfach null Feingefühl! Es geht hier nicht um dich, merkst du das nicht?»
Erika schaute Mona genauer an und sah, dass ihre Haut gerötet und fleckig war. Ihr Mann John war Schönheitschirurg. Manchmal probierte er neue Maschinen und Methoden an Mona aus. Manchmal ging dabei etwas schief.
«Was ist los, Mona?»
«Marine ist schwanger!»
«Wer ist Marine?» Wer hieà so?, dachte Erika. Was für ein Name.
«Johns Praxishilfe! Und sie behauptet, das Kind sei von ihm! Und sie will ihn wegen sexueller Belästigung verklagen!» Mona schniefte. «ScheiÃe. Gibt es hier wirklich keinen Alkohol?»
Erika zog ihren Flachmann aus der Tasche und schüttete einen groÃzügigen Schluck Wodka in Monas Chai, dann in ihren eigenen. Susanne hielt schützend die Hand über ihre Tasse. Typisch, dachte Erika. Dann sah sie die Jüngere noch einmal genau an.
«Jetzt sag aber nicht, du bist auch schwanger!»
Susanne errötete, und Mona brach in Tränen aus.
«Du bist wirklich unglaublich, Susanne!», rief sie. «Siehst du nun, was ich gemeint habe? Du hast einfach kein Feingefühl! Null!»
«Was kann ich denn dafür, dass ich schwanger bin? Ich dachte, ihr freut euch! Ihr seid doch meine Freundinnen!»
«Erika ist deine Nachbarin», sagte Mona grob. «Mehr nicht. Und jetzt nimm dich bitte ein bisschen zurück, ja? Deine Energie verstopft die ganze Atmosphäre hier am Tisch!»
Erika wich Susannes verletztem Blick aus und wandte sich an Mona. «Bist du denn ganz sicher, dass sie lügt? Die Praxishilfe?»
«Natürlich bin ich sicher! Warum fragst du? Du kennst doch John!»
Erika kannte John. Jedes Mal, wenn sie in seine Praxis kam, fasste er ihre Brüste an. Es geschah automatisch, es war ein Reflex. Sie nahm es nicht persönlich. Sie sah auch, wie er mit den jungen, hübschen Praxishilfen schäkerte. Jeder sah das. Jeder wusste das. Konnte Mona wirklich so blind sein?
«Du hättest ihn sehen sollen â er war am Boden zerstört! Verzweifelt! Und gerade jetzt, wo Gregory aus Amerika zurückkommt.» Ihr Sohn hatte ein Austauschjahr gemacht. Erika meinte sich zu erinnern, dass bei seiner Geburt etwas schiefgegangen war, dass Mona keine weiteren Kinder bekommen konnte. Aber sie konnte sich täuschen. Erika fiel es schwer, sich auf das zu konzentrieren, was um sie herum passierte, sich an das zu erinnern, was gesagt worden war. Lieber verlor sie sich in ihren Tagträumen und Gedanken. Da war es ihr schon als Kind am wohlsten gewesen. Sie nahm auch genügend Medikamente, um diese innere Welt vor der Realität zu schützen.
«Schau dir doch die Zeitungen an â heutzutage kannst du dir als Frau alles erlauben, du musst nur einmal â¹Missbrauch⺠sagen, â¹sexuelle Belästigungâº, und schon bist du ein Leben lang versorgt! Eine Schande ist das! Und ein Mann wie John ist natürlich das ideale Opfer â ein Wunder, dass ihm das nicht schon früher passiert ist.»
Allerdings, ein Wunder, dachte Erika. Sie schenkte sich nach. Sie verstand Mona nicht. Glaubte sie wirklich, was John ihr erzählte? Was, wenn das Kind zur Welt kam und Johns unverwechselbare Augen hatte? Wie es diesem Sportler passiert war, wie hieà er gleich, der behauptet hatte, man habe ihm seinen Samen geraubt � Je länger sie darüber nachdachte, desto wütender wurde sie auf Mona. Mona hatte den perfekten Scheidungsgrund! Sie könnte jetzt gehen, und das Mitgefühl aller wäre ihr sicher. Aber nein, Mona glaubte ihrem Mann, sie stand zu ihm, sie dachte keine Sekunde daran, ihn zu verlassen. Wie konnte sie, Erika, denn überhaupt an so etwas denken, sie, die mit dem letzten anständigen Mann der Schweiz verheiratet war?
«Ich will euch ja nicht unterbrechen», sagte Susanne.
«Warum tust du es dann?», fuhr Mona sie an.
Susanne ignorierte sie. «Erika, du hast hoffentlich nicht vergessen, dass wir heute Abend bei dir zum Essen eingeladen sind? Ich meine nur â es ist bald drei Uhr, und bis wir wieder in Zürich sind â¦Â»
Erika zuckte zusammen. Das hatte sie tatsächlich vergessen. Mona schaute verletzt. Max hatte die Gästeliste
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