Das Weihnachten des Mr Scrooge
durch geduldigen Fleiß gebessert haben würden. Du hast dich geändert. Als wir uns verlobten, warst du anders.«
»Ich war noch ein Knabe«, warf er ungeduldig ein.
»Dein eigenes Gefühl sagt dir, daß du nicht warst, wie du jetzt bist«, versetzte sie. »Ich bin dieselbe. Was uns einst Glück versprach, als wir noch ein Herz und eine Seele waren, ist nun mit Kummer belastet, da wir nicht mehr eins sind. Wie oft und wie bitter ich diesem Gedanken nachhing, will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es getan habe und daß ich dich freigeben kann.«
»Habe ich je frei zu werden gesucht?«
»In Worten – nein! Nie!«
»Wodurch denn?«
»Durch dein verändertes Wesen, deine andere Sinnesart, durch andere Gewohnheiten, andere Lebenserwartungen. Alles hat sich geändert, was meine Liebe in deinen Augen wertvoll oder erwünscht machte. Wenn nie etwas zwischen uns gewesen wäre«, fuhr das Mädchen fort, indem sie ihm mild, aber
fest ins Auge sah, »sag selbst, würdest du mich jetzt noch erwählen und dir Mühe geben, mich zu gewinnen? Nein!«
Wider Willen schien er die Richtigkeit ihrer Annahme zuzugeben; er sagte aber krampfhaft: »Das glaubst du selbst nicht.«
»Ich dächte gern anders, wenn ich könnte«, erwiderte sie. »Gott weiß es. Aber wenn sogar ich eine Wahrheit wie diese begriffen habe, dann weiß ich, wie stark und unumstößlich sie sein muß. Wärst du gestern, heute, morgen frei – soll ausgerechnet ich glauben, daß du ein armes Mädchen wählen würdest, du, der du sogar in deinem vertrautesten Umgang mit mir alles nach dem Gewinn abschätzt? Und wenn du für kurze Zeit deinem einzigen Leitgedanken untreu genug wärst, um sie zu wählen – weiß ich denn nicht, daß dich Reue und Bedauern erfassen würden? Ich weiß es, und daher gebe ich dich frei. Mit einem Herzen voll Liebe für den, der du einst warst.«
Er wollte etwas entgegnen, aber sie fuhr mit abgewandtem Gesicht fort: »Es wird dir vielleicht weh tun – die Erinnerung an das Vergangene läßt es mich fast hoffen. Aber nur sehr, sehr kurze Zeit – und dann wirst du froh die Erinnerung als nutzlosen Traum verscheuchen, aus dem du zum Glück erwacht bist. Mögest du glücklich sein in dem Leben, das du erwählt hast.«
Sie verließ ihn, und sie verschwanden beide. »Geist!« rief Scrooge, »zeige mir nichts mehr! Führe mich heim. Warum macht es dir Freude, mich zu foltern?«
»Nur einen Schatten noch!« versetzte der Geist.
»Nein, keinen mehr!« rief Scrooge, »ich will nichts mehr sehen! Zeige mir nichts mehr!«
Allein das unerbittliche Gespenst umfaßte ihn mit beiden Armen und nötigte ihn, mit anzusehen, was sich jetzt abspielte.
Sie standen wieder auf einem andern Schauplatz: in einem Zimmer, das weder sehr groß noch hübsch, aber behaglich ausgestattet war. Nahe dem winterlichen Feuer saß ein schönes junges Mädchen, dem vorigen so ähnlich, daß Scrooge es für dasselbe hielt, bis er jene, jetzt als stattliche Matrone, ihrer Tochter gegenübersitzen sah. Wilder Lärm herrschte in diesem Gemach, denn es waren mehr Kinder da, als Scrooge in seinem aufgeregten Gemütszustand zählen konnte, und anders als bei der Herde, die das Gedicht feiert, betrugen sich nicht vierzig Kinder wie eines, sondern jedes wie vierzig. Die Folge war ein unglaublicher Tumult, aber niemand schien sich darum zu kümmern; im Gegenteil: Mutter und Tochter lachten herzlich und schienen Gefallen daran zu finden; ja, die Tochter begann bald an dem Umtrieb teilzunehmen und wurde von den jungen Spitzbuben unbarmherzig ausgeplündert. Was hätte ich nicht darum gegeben, einer von ihnen zu sein – obwohl ich nie so roh hätte sein können, gewiß nicht! Für alle Schätze der Welt hätte ich dieses schön gescheitelte Haar nicht verwirren und herabzerren mögen, und den zierlich kleinen Schuh hätte ich ihr nicht weggerissen, Gott bewahre, und wäre es um mein Leben gegangen. Auch ihre Taille im Spaß zu messen, wie die freche junge Brut es tat, hätte ich nicht fertiggebracht: ich hätte gefürchtet, mein Arm werde zur Strafe krumm wachsen und nie wieder gerade werden. Und doch hätte ich brennend gern ihre Lippen berührt, sie etwas gefragt, damit sie den Mund öffne, hätte gern die Wimpern ihrer niedergeschlagenen Augen betrachtet, ohne sie erröten zu machen; hätte gern ihr Haar gelöst, von dem mir eine einzige Locke ein über alle Maßen kostbares Andenken gewesen wäre; kurz, ich gestehe, ich hätte gern das kleinste Vorrecht eines
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