Das Weihnachten des Mr Scrooge
Pelz besetzt. Dieses Gewand hing ihm so lose um den Körper, daß seine breite Brust bloß war, als ob er es verschmähe, sich künstlich zu schützen oder zu verbergen. Auch seine Füße, die unter dem faltenreichen Gewand hervorsahen, waren nackt, und auf dem Kopf trug er keine andere Bedeckung als einen Kranz von Stechpalmen, an dem hier und da glänzende Eiszapfen hingen. Seine langen dunkelbraunen Locken wallten frei herab, frei wie sein frohes Gesicht, sein funkelndes Auge, seine offene Hand, seine muntere Stimme, sein zwangloses Benehmen und sein heiteres Aussehen. Um seine Hüfte hatte er eine
altertümliche Schwertscheide gegürtet, aber kein Schwert stak darin, und die alte Scheide war von Rost zerfressen.
»Du hast wohl nie zuvor meinesgleichen gesehen?« rief der Geist.
»Nie!« gab Scrooge zur Antwort.
»Bist nie mit den jüngeren Mitgliedern meiner Familie umhergewandert?« fuhr das Gespenst fort; »damit meine ich eigentlich – denn ich bin noch sehr jung – meine älteren Brüder, die in den letzten Jahren zur Welt kamen.«
»Ich kann mich nicht entsinnen!« sagte Scrooge; »ich fürchte nein! Hast du viele Brüder gehabt, Geist?«
»Mehr als achtzehnhundert!« antwortete der.
»Eine schauerliche Familie, wenn man für sie sorgen muß!« meinte Scrooge.
Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht erhob sich.
»Geist!« sprach Scrooge unterwürfig, »führe mich, wohin du willst. In der vergangenen Nacht stand ich unter Zwang und habe dabei eine Lehre empfangen, die jetzt in mir wirkt. Wenn du mich heute nacht etwas lehren willst, so laß mich daraus Nutzen ziehen.«
»Berühre meinen Rock!«
Scrooge tat, wie ihm geheißen, und hielt sich fest.
Stechpalmen, Misteln, Vogelbeeren, Efeu, Truthähne, Gänse, Wildbret, Hühner, Pökelfleisch, Schinken, Ferkel, Würste, Austern, Pasteten, Puddings, Obst und Punsch – alles verschwand im selben Augenblick. Desgleichen das Zimmer, das Feuer, die rote Glut, die Nachtstunde, und sie standen in den Straßen der City am Christtagsmorgen. Die Leute machten im strengen Winterwetter eine rauhe, aber doch fröhliche und nicht ungefällige Art Musik, indem sie den Schnee vom Pflaster vor ihren Häusern und von deren Dächern abkratzten. Und es war ein Jubel für die Knaben zu sehen, wie er auf die
Straße plumpste und in niedliche kleine Schneestürme zerstob.
Die Häuserfronten sahen schwarz aus und die Fenster noch schwärzer im Vergleich zu dem glatten weißen Schneebelag auf den Dächern und dem etwas schmutzigeren Schnee der Straßen, in dessen obere Schicht die schweren Räder der Karren und Wagen tiefe Furchen gezogen hatten; Furchen, die einander hundertmal durchkreuzten, wo die großen Straßen einmündeten, und die in den dicken gelben Schmutz und das eisige Wasser verworrene, schwer zu verfolgende Kanäle eingruben. Der Himmel war düster, und die kürzesten Straßen waren mit dickem Nebel verstopft, halb Dunst und halb gefroren, so daß seine schwereren Teilchen in einer Wolke rußiger Atome herabfielen, als ob alle Kamine in Großbritannien auf Verabredung zu brennen angefangen hätten und nun nach Herzenslust drauflosdampften. Es lag nichts Heiteres im Wetter oder in der Stadt, und doch herrschte draußen eine fröhliche Stimmung, wie sie die klarste Sommerluft und die hellste Sommersonne vergeblich zu verbreiten versucht hätten.
Denn die Leute, die den Schnee von den Dächern schaufelten, waren lustig und voller Freude, riefen einander von den Brustwehren aus zu, bewarfen sich hier und da neckend mit Schneebällen – gutartigen Wurfgeschossen, die gutmütiger als manche Scherzworte sind – und lachten herzlich, wenn sie trafen, und nicht minder herzlich, wenn sie fehlgingen.
Die Geflügelläden waren noch halb offen, und die Obstläden prunkten in ihrem Schmuck. Da sah man in Körben große, runde, dickleibige Kastanien, geformt wie die Bäuchlein lustiger alter Herren, die unter ihren Haustüren lehnen und in ihrer apoplektischen Behäbigkeit auf die Straße hinauswackeln. Da waren rötliche, braungeflammte, breitgedrückte spanische Zwiebeln, die in ihrem fetten, frischen Wachstum
glänzten wie spanische Mönche und von ihren Brettern herab mutwillig und schlau den vorübergehenden Mädchen zuwinkten und ehrbar den aufgehängten Mistelzweigen zublinzelten. Da waren Birnen und Äpfel zu blühenden Pyramiden hoch aufgeschichtet; da hingen Bündel von Trauben, von den Händlern in wohlmeinender Absicht an auffälligen Haken angebracht,
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