Das zarte Gift des Morgens
Anfissa und traf überraschend Lessopowalow bei ihr an. Die beiden saßen ganz manierlich in der Küche, tranken Kaffee und unterhielten sich. Anfissa hatte fünf Kilo abgenommen und wurde anschließend nicht müde, Katja am Telefon zu versichern, dass ein verheirateter Hausfreund nicht automatisch ein völlig verlotterter Kerl sein müsse. Katja wusste nicht, sollte sie zustimmen oder nicht – bei ihr zu Hause herrschte uneingeschränkt ihr eigener verheirateter Hausfreund – ihr Ehemann Wadim Krawtschenko. Nachdem er aus Sotschi zurückgekehrt war (ihn rechtzeitig vom Flughafen abzuholen, war Katja damals nicht mehr gelungen), erklärte Wadim, getrennter Urlaub sei in Zukunft nicht mehr zweckmäßig. Was er mit diesem Wort konkret meinte, begriff Katja nicht so richtig. Sollte das heißen, ihr Göttergatte hatte unter der Trennung genauso gelitten wie sie?
An einem trüben, nasskalten Novemberabend traf Katja vor dem Polizeipräsidium zufällig mit Kolossow zusammen. Er kam aus der »Matrosskaja Tischina«, dem Untersuchungsgefängnis, in dem Maria Potechina inhaftiert war und wo ihr eben die endgültige Anklage vorgelesen worden war. Seine Stimmung war jedoch alles andere als siegesbewusst. Katja erriet, warum: Im Grunde seines Herzens konnte Nikita sich nicht damit abfinden, dass in diesem Fall eine Frau die Mörderin war, noch dazu eine Mutter. Nach Marias Festnahme hatten Kolossow und Katja noch einmal zusammengesessen und über die Ereignisse im »Al-Maghrib« gesprochen.
»Alles hat damit angefangen, dass Aurora nach der Scheidung von Gussarow dringend Geld für den Kauf einer Wohnung brauchte«, erzählte Kolossow. »Inzwischen wissen wir, dass die Potechina das Restaurant nach der Scheidung von ihrem Mann als Abfindung bekommen hat.
Aber anfangs lief es nicht besonders gut. Und da überredete Maria ihre Freundin Aurora, das Geld, das diese bei ihren Konzerten verdient hatte, in ihr Restaurant zu investieren. Die Ehe Auroras ging ebenfalls in die Brüche, die Sängerin wollte sich materiell absichern, und Marias Vorschlag erschien ihr verlockend. Wie mittlerweile festgestellt wurde, hat Aurora ungefähr hundertfünfzigtausend Dollar ins ›Al-Maghrib‹ gesteckt. Sie war es auch, die unbedingt ein marokkanisches Restaurant wollte. Faktisch waren die Potechina und sie gleichberechtigte Geschäftspartnerinnen. Doch sie kamen überein, das lieber geheim zu halten: Aurora befürchtete, sie würde, wenn Gussarow davon erführe, bei der Scheidung ihre Ansprüche auf Vermögensausgleich verlieren.
Aber Gussarow gab auch so zu verstehen, dass Aurora von ihm nichts zu erwarten habe, und deshalb erklärte sie Maria, sie sei gezwungen, ihren Anteil aus dem gemeinsamen Geschäft herauszuziehen. Dieser Schritt sollte schicksalhaft für sie werden. Maria ließ sich nichts anmerken und erhob keine Einwände, tatsächlich aber war sie nicht gewillt, das Geld wieder herauszugeben und dadurch das immer besser laufende ›Al-Maghrib‹ zu ruinieren. Dieses Restaurant hat ihr sehr viel bedeutet. Die Scheidung von ihrem Mann ist für sie auch finanziell ein harter Schlag gewesen, ihr Mann ist ja sehr reich. Und bei der Scheidung hat sie viel verloren. Das ›Al-Maghrib‹ war für sie eine Chance, wieder hochzukommen – jedoch nur dann, wenn es ein wirklich erstklassiges Restaurant wurde. Das war ihr wichtigstes Ziel, dafür hat sie viel getan: Poljakow und Saiko, zwei Spitzenköche der orientalischen Küche, eingestellt, alles in neuem Design eingerichtet.
Aber um so berühmte Köche zu bezahlen, um exotische Lebensmittel kaufen und feste Angestellte engagieren zu können, brauchte sie viel Geld. Ohne Auroras Anteil war das nicht möglich. Und so beschloss Maria, Aurora zu beseitigen. Der Zeitpunkt dafür passte sehr gut – alle Boulevardblätter schrieben gerade über Auroras Scheidung von Gussarow und über die skandalösen Details. Aurora selbst hatte mehr als einmal erklärt, sie habe schreckliche Angst vor ihrem Mann, der sie sehr grausam behandelt habe. Wenn ihr jetzt etwas zustieße, würde Gussarow der Verdächtige Nummer eins sein.«
»So ist es ja auch gekommen«, meinte Katja.
»Und genau darauf hat Maria spekuliert. Aber sie wusste nicht, wie sie den Mord bewerkstelligen sollte, bis sie zufällig von ihrem eigenen Koch Saiko, unabsichtlich natürlich, darauf gestoßen wurde. Er pflegte oft von seinem Leben in Marokko zu erzählen, kannte viele Geschichten, darunter auch die Legende von der Vergiftung
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