Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
Vom Netzwerk:
federleicht dahinzugleiten, auf einem Luftpolster gleichsam. Er öffnete unter Wasser die Augen und blickte in ein milchiges Blau, durch das Sandwolken trieben, er ließ das Wasser über seine Zähne spülen und spürte die Sandkörner. Mit den Füßen suchte er nach einer Sandaufschüttung, aber er sackte sofort ab, es gab keinen Grund mehr, er drehte sich auf den Rücken und forschte den Himmel nach der Sonnenkugel aus und sah rote Hitzeschleier, zerschlissene Wolken und ein flimmerndes Blau. Er war schneller, schien ihm, als diese Wolken, ein kalter Wasserstrom schreckte ihn, ließ ihn den Kopf jäh herumwerfen.
    Aber er ertrank ja nicht, er spürte nur ein schwaches Ziehen an den Schenkeln, er schwamm gleichsam aufwärts über eine schräg gestellte Ebene, die sich senkte und hob. Da sah er plötzlich die Sonne sehr deutlich, als einen sich vergrößernden, abgezirkelten Brand am schwarzen Himmel, ein Morgenrot, das andauerte, obwohl Mittag schon längst vorbei war, vom Osten bis zum Süden war der Himmel rotgestreift, ein Lichtregen aus Lilaluft färbte das offene Meer.
    Zurückblickend sah er den Nasenhöcker des Felsausläufers plötzlich weit entfernt und Livia nur mehr als kleine Figur, und etwas Hüpfendes neben ihr, sie warf vielleicht dem Hund etwas zu, sie spielte mit dem Hund, während er von einer Strömung abgetrieben wurde wie ein Luftballon. Mit möglichst regelmäßigen Armbewegungen versuchte er zum Strand zurückzuschwimmen, er setzte seine Kraft gleichmäßig ein, stieß die gefalteten Handflächen wie einen Kiel vor sich ins Meer und zog sie ruckartig als Schaufeln ein. Er streckte die Arme durch, bis sich die Hände berührten, und riß diese so heftig an den Leib heran, daß die Ellbogen an seine Seiten klatschten, er wollte ohne Hast, ohne Panik gegen die Strömung ankämpfen, aber der Nasenhöcker kam nicht näher, er konnte den Hund am Strand nicht mehr sehen, trieb schon im offenen Meer, da hörte er seinen ersten Schrei, minutenlang oder Bruchteile von Sekunden hatte er gedacht: ich kann nicht schreien, ich will nicht, ich will mich nicht hören, aber jetzt hörte er sich schreien, gellend schrie er: Livia, langgezogen und schrill immer wieder ihren Namen, ihren Namen als Hilfeschrei: Livia. Er wollte nicht mehr denken, daß es nutzlos war, daß sie ihm nie und nimmer helfen könnte, auch wenn sie ihn gehört hätte. Livia hörte ihn nicht, das Meer schluckte alle seine Schreie, er sah sie nicht aufstehen vom Sand, sie sah jetzt wohl in das Rot des Himmels oder sie war eingeschlafen.
    Das Wasser, Masse und bodenlose Tiefe, ohne Sonnenglitzern, ohne Azur, erzeugte einen Druck, der ihn weghob von der Küste, er schrie aus Angst, er schrie, um zur Welt zu gehören, er schrie, um leben zu dürfen, an seinen Füßen und Armen hing das Meer, er atmete zu hastig, wußte er, konnte es aber nicht verhindern, er schluckte kleinere und größere Schlucke, hatte nicht mehr die Kraft, das Wasser immer wieder auszuspucken, Livia, brüllte er, lang und kreischend: Livia. Er warf die Arme nach vorn und zurück, er sah nur mehr die Ränder von schwappenden und sich überschlagenden Wellen, es gelang ihm kaum noch, die Füße in Kniehöhe zu halten. Eine Plastikflasche trieb an ihm vorbei auf die andere Seite, zu den Wellenbergen hinüber, ans andere Ende der Bucht, zum Bergbukkel hin, eine Agavenwurzel sah er in dieselbe Richtung driften, er kam nicht mehr an den Bekkenrand der Felsnase heran und er brüllte auch nicht mehr, schrie nicht mehr ununterbrochen, nur mehr von Zeit zu Zeit, und nur, um sich selbst zu rufen. Er schwamm nicht mehr zu Livias Liegeplatz, er schwamm der Plastikflasche nach, bewegte noch immer Arme und Beine, doch nicht mehr gegen die Strömung, er ließ sich abtreiben, half ein wenig nach, um mit der Agavenwurzel und der Plastikflasche zum anderen Ende der riesigen Bucht zu gelangen und geriet zwischen Tang, Nylonsäcke und Dosen, versuchte den Kopf eine Zeitlang darüber zu halten und ließ ihn dann auch in Tang und Dreck eintauchen und war einzig darauf bedacht, keinen Nylonsack vor den Mund zu bekommen. Einmal war ihm, als sähe er zwei zwergenhafte Figuren sehr weit entfernt über den Strand laufen, in seine Richtung, er sah sie laufen und stehenbleiben und wieder laufen, vielleicht waren es zwei Kinder, vielleicht waren

Weitere Kostenlose Bücher