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Dauerhaftes Morgenrot

Dauerhaftes Morgenrot

Titel: Dauerhaftes Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Zoderer
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ihrer Waden.
    Geh nicht weiter, nicht bis zur Straßenkreuzung, rief er, dachte er. Manchmal war ihm, als müßte Johanna ihn, mit beiden Händen an den Haaren haltend, langsam von sich wegschieben.
    Niemand hatte ihm Handschellen um die Gelenke gelegt, er streunte kreuz und quer über die Plätze, über Kreuzungen und Verkehrsinseln, man konnte ihn abschießen, in die Arme nehmen, niederstechen oder abküssen, aber sie hielten sich alle auf Distanz, achteten darauf, daß sie bei Grün über die Straßen kamen, ohne einen Mantelstoff oder ein Kleid zu streifen, angstgezüchtete Brunsttiere.
    Ich zertrete hellgrüne frisch gefallene Eicheln, und ich denke an Livia wie einer, der grundlos Schlaftabletten verteilt hat. Nur im Traum, sagte er, habe ich mich vor Livia einmal gefürchtet: sie hatte einen Abend lang Johannas schmales Lächeln und die glatten schwarzen Haare, die sich nur an den Ohren ein wenig wellen, aber im Lift, als wir in den letzten Stock des Getreidesilos hinauffuhren, war es Livias gealtertes dickes Gesicht, und der Kopf hing zwischen breiten Schultern, Livia zog mich in ein Wohnzimmer, an eine Stehbar, und wir mußten dorthin bis tief über die Knie durch Getreidekörner waten, und überall dehnten und streckten sich Katzen, es roch aus den Getreidebergen nach ihrem Kot, und Livia zerrte mich an der Hand durch den endlosen Raum und war eine fette vierschrötige Fünfzigerin, und die Falten in ihrem Gesicht waren von der Morgensonne schon gerötet.
    Das Laub glitschte unter seinen Schuhen weg, er bewegte sich vorsichtig, aber doch so, daß einem Beobachter, hätte es einen gegeben, die Vorsicht nicht aufgefallen wäre. Er hatte sich an Livias Normalität gewöhnt, er hatte Livia zu dieser Normalität verführt, sie damit betrogen, indem er sie demütigte mit seinen Komplimenten und sich selbst strafte, aber auch bis zur Erregung reizte, indem er sie anhimmelte und den Flaum an ihren Waden küßte und mit seinen Lippen rieb und ihre Fußsohlen und die Haut zwischen ihren Zehen mit seiner Zunge leckte.
    Vor manchen Auslagen blieb er stehen, als ob er Bekannte zu begrüßen gehabt hätte, er lächelte den Verrenkungen der Schaufensterpuppen zu, sah ihnen unter die Achselhöhlen und auf den Bauch, las auch die Preiszettel. Livia hatte von ihm die Schlaftabletten verlangt. Seit Wochen hatte sie ihn um Schlaftabletten gebeten, und er hatte sie zu sammeln begonnen, mehrere Schachteln hatte er für sie besorgt, lies genau das Formblatt, hatte er gesagt.
    Er fand ohne Taxi zum Hotel zurück, er hatte keine Lust mehr, hinauszuwandern auf eine Mole, diese hundert oder zweihundert Schritte zu machen in die Schwärze, umgeben vom Glucksen der heranschwappenden Flut.
    Vor seinem Zimmer, auf dem Flur, knickte er mit der einen Hand den Gummibaum, den er für eine Hochzeitspflanze hielt, und zog gleichzeitig mit der anderen den Schaft an die Brust. Ich werde mich morgen früh verändern, knurrte er sich zu, und wenn ich mich nur rasiere. Er setzte sich auf den Rand des Bettes und brachte die Matratze auf dem Drahteinsatz zum Schwingen, auf- und niederschwingend sah er seinen breitkrempigen Hut unbewegt am Haken hängen, ein Kopfjägerpfand, sagte er und streckte sich voll angekleidet und in den Schuhen auf dem Bett aus. Angenommen, er könnte mit jemandem wie Johanna leben: In der Nacht hätte ein warmer Wind rötlichen Staub über die Berge geweht, und die weiße Hotelwand wäre von der Wüste gefärbt worden mit feinen rötlichen Strichelungen, die ein kurzer Regen hingeworfen hätte. Angenommen, ich lasse die Farbwände enger und enger zusammenrücken, sie saugen sich auf Hautnähe heran, dringen wie bunte Gelatinewände bis ins Innere des Nichtdenkens vor, so daß sie schließlich alles zukleben, jeden Wunsch, auch den, mich jetzt im Bett noch einmal aufzurichten.
    Das ist die Selbstaufgabe, Johanna, sagte er.
    Er fragte sie, wie lange sie bleiben könne.
    Sie wollte in das nächstbeste Lokal, ganz gleich, wer sie dort kannte, grüßte oder nicht grüßte. Und an diesem Abend sagte sie: Wir kennen uns schon so lange, oder sie fragte: Wie lange kennen wir uns schon, so als hätte sie gesagt, es lohnt nicht den Aufwand zusammenzukommen, nichts macht uns neugierig, es gibt nichts mehr zu entdecken.
    Er beobachtete einen winzigen Riß an ihrer Unterlippe, eine kaum bemerkbare

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