David und Goliath
mich auf den Weg nach Fresno gemacht hatte. 158 Irgendwann stritt sich Reynolds mit der Besitzerin. Sie sagte, er solle mit seinen Besichtigungstouren aufhören. Er schade ihrem Geschäft. »Wann hört das endlich auf?«, fragte sie ihn. Reynolds war wütend. »Natürlich schadet es ihrem Geschäft. Aber es hat unser Leben zerstört. Ich habe ihr gesagt, dass ich damit aufhöre, wenn meine Tochter zurückkommt.«
Zum Abschluss unseres Gesprächs sagt mir Reynolds, er wolle mir zeigen, wo seine Tochter ermordet wurde. Ich kann nicht Ja sagen. Es ist zu viel. Reynolds beugt sich über den Tisch und legt seine Hand auf meinen Arm. »Haben Sie einen Geldbeutel dabei?«, fragt er. Dann gibt er mir ein Passbild seiner Tochter. »Das Bild wurde einen Monat vor ihrer Ermordung aufgenommen. Stecken Sie es in Ihren Geldbeutel und denken Sie an sie, wenn Sie ihn öffnen. Manchmal brauchen Geschichten wie die hier ein Gesicht.« Seine Trauer würde nie enden. »Das Mädchen hatte alles. Dass so was passiert. Dass jemand sie einfach so kaltblütig umbringt. Das ist doch scheiße. Das muss aufhören.«
7
Im Jahr 2007 erhielten die Derksens einen Anruf von der Polizei. »Ich habe zwei Monate lang nicht darauf reagiert«, sagt Wilma Derksen. Worum sollte es auch gehen? Seit der Ermordung von Candace waren zwanzig Jahren vergangen. Die Familie hatte versucht, darüber hinwegzukommen. Was sollte es bringen, an alten Wunden zu rühren? Schließlich vereinbarte sie einen Termin. Die Polizisten kamen zu ihr nach Hause und sagten: »Wir haben den Mörder gefunden.«
Der Schuppen, in dem Candace entdeckt worden war, war die ganze Zeit über in der Asservatenkammer aufbewahrt worden. Nun hatten die Ermittler die DNA vom Tatort einem Mann namens Mark Grant zugeordnet. Grant hatte nicht weit von den Derksens entfernt gewohnt. Wegen eines langen Registers von Sexualdelikten hatte er den Großteil seines Erwachsenenlebens im Gefängnis verbracht. Im Januar 2011 wurde er vor Gericht gestellt.
Wilma Derksen hatte Angst. Sie hatte keine Ahnung, wie sie reagieren würde. Die Erinnerung an die Schrecken war verblasst, und nun würde alles wieder hervorgezerrt werden. Sie saß im Gerichtssaal. Grant wirkte aufgedunsen, er hatte ein teigiges Gesicht und weiße Haare. Er sah krank aus. »Seine Wut auf uns, sein Hass, das war alles so unverständlich«, sagt sie. »Ich habe nicht verstanden, warum er wütend auf uns war, denn eigentlich hätten wir doch wütend auf ihn sein sollen. Ich glaube, ich habe ihm erst gegen Ende der ersten Anhörung ins Gesicht schauen können, und dann habe ich zu mir gesagt, du bist der Mann, der Candace umgebracht hat. Wir haben uns angesehen, und ich habe es nicht glauben können. Ich habe gedacht: Wer bist du? Wie hast du das tun können? Wie kannst du nur so sein?
Der schlimmste Moment war – ich muss gleich weinen – der schlimmste Moment ...« – sie unterbricht sich, dann entschuldigt sie sich für ihre Tränen. »Mir ist plötzlich klar geworden, dass er Candace gefesselt hat und was das bedeutet ...« Sie hält wieder inne. »Ich bin eine naive Mennonitin. Und als mir klar geworden ist, dass es ihm Lust bereitet hat, Candace zu fesseln und leiden zu sehen, dass es ihm Spaß gemacht hat, sie zu foltern ... Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Für mich ist das noch schlimmer als eine Vergewaltigung, verstehen Sie? Das ist unmenschlich. Ich kann verstehen, wenn Lust irgendwie in eine andere Richtung geht. Aber das? Das ist furchtbar! Das Schlimmste!«
Es war eine Sache, einem anonymen Täter zu vergeben. Als Candace ermordet wurde, hatte der Mörder weder Namen noch Gesicht. Aber jetzt kannte sie ihn.
»Wie kann man so jemandem vergeben?«, fährt sie fort. »Meine Geschichte war jetzt viel komplizierter. Ich musste mich mit all diesenGefühlen auseinandersetzen und habe gedacht: Warum stirbt der nicht einfach? Warum bringt ihn nicht jemand um? Das ist krank. Das ist Rache. Und irgendwie wäre es auch so, als würde ich ihn quälen, weil ich sein Schicksal in meinen Händen habe.
In der Kirche bin ich dann mal ein bisschen ausgerastet. Ich war mit Freunden da, und ich habe mich über diesen ganzen sexuellen Wahnsinn aufgeregt. Am nächsten Morgen hat mich eine Freundin angerufen und gesagt, warum treffen wir uns nicht zum Frühstück. Aber im Café hat sie dann gesagt, hier können wir nicht reden, warum gehen wir nicht zu mir. Also sind wir zu ihr, und sie hat mir von ihrer Pornosucht erzählt und
Weitere Kostenlose Bücher