Dein ist die Rache. McAvoys zweiter Fall: Ein Yorkshire-Krimi (Ein Aector-McAvoy-Krimi) (German Edition)
ist der Einzige, der sich nicht entblödet, sich bei Tremberg zu beschweren.
Bis vor einer halben Stunde hatte sie sich auf den heutigen Tag gefreut. Seit ihrer Rückkehr aus dem Krankenstand war sie an den Schreibtisch gefesselt gewesen und durfte auch nicht an der kleinsten, halbwegs interessanten Operation teilnehmen, bis die Gespräche mit dem Polizeipsychologen abgeschlossen waren und ein Arzt das letzte in einer Reihe von scheinbar endlosen Formularen unterschrieben hatte, das besagte dass die Schnittwunde an ihrer Hand keine bleibenden Schäden hinterlassen würde. Jetzt ist alles wieder in Ordnung, und sie will endlich echte Polizeiarbeit tun und dabei sein, wenn ihre Chefin, Trish Pharaoh, ein paar Drogendealern und Gangmitgliedern die Handschellen anlegt. Sie will mitmachen. Das braucht sie. Muss ihre Handlungsfähigkeit zeigen und allen Zweiflern demonstrieren, dass sie immer noch in Topform ist, obwohl ihr von einem Serienmörder beinahe die Kehle durchgeschnitten worden wäre. Will beweisen, dass sie mit der ganzen Geschichte nach »alter Schule« fertig geworden ist – mit einem Lachen, und indem sie das Problem mit Wodka und einem schönen langen Weinkrampf aus ihrem Stoffwechsel hinausgespült hatte.
»Wann verschwinden die wieder?«, fragt der Mann. »Warum tun Sie denn nichts? Das hier ist eine anständige Wohngegend. Wir zahlen unsere Steuern. Ich habe ja nichts gegen die, aber es gibt andere Orte. Plätze, die dafür bestimmt sind! Was werden Sie unternehmen?«
Tremberg gibt sich nicht die Mühe, ihm zu antworten. Sie weiß es nicht. Sie will nicht mit diesem Mann reden. Sie will zur Arbeit. Sie hat es satt, hier am Torpfosten eines Fußballplatzes zu lehnen, an der Grenze zwischen den wohlhabenden Ortschaften Anlaby und Willerby. Sie kommt sich vor wie ein Torhüter, der nur zusehen kann, während die Partie sich am anderen Ende des Platzes abspielt.
»Ich hätte im Auto bleiben sollen«, murmelt sie und blickt an dem Mann vorbei zu den Wohnwagen, die in der Nähe der Mittellinie des angrenzenden Rugbyfeldes stehen. Ein einziges wimmelndes Chaos.
Sechs Wohnanhänger, vier Geländewagen, ein Mercedes und drei Pferdetransporter, mindestens zwei Generatoren und, soweit sie sehen kann, ein Dixi-Klo. Alles steht in lockerem Halbkreis um drei Sofas mit Blumenbezug und eine Sonnenliege gruppiert, auf denen es sich eine wachsende Anzahl von Frauen und Kindern des fahrenden Volkes bequem macht. Sie trinken Tee, plaudern mit den Beamten in Uniform und schreien gelegentlich die Schulkinder und gelangweilten Autofahrer an, die aus ihren im Stau eingekeilten Fahrzeugen ausgestiegen sind, um sich den Trubel von den Zuschauerplätzen hinter den Geländern aus anzusehen.
Tremberg sitzt fest, genau wie die Hälfte der Bevölkerung von East Yorkshire. Ihr Wagen steht ein paar Straßen weiter in dem gigantischen Stau, der zweimal im Monat durch eine Infrastruktur ausgelöst wird, die ungefähr so belastbar wie ein KitKat-Riegel ist.
Sie hatte sich gelangweilt, weil sie nichts tun konnte, als durch die staubige Scheibe ihres Citroën in den dunklen, düsteren Himmel zu blicken, und das Radio in der Hoffnung auf ein wenig Unterhaltung eingeschaltet. Nach zwei Minuten von »California Dreamin’« begann sie, sich zu fragen, ob Radio Humberside überhaupt jemals eine andere Platte auflegte, als auch schon eine Verkehrsdurchsage kam. Auf der Anlaby Road lief ein halbes Dutzend Pferde frei herum, und Zigeuner verursachten ein Chaos an den Sportplätzen am Uferdamm. Da war ihr kaum eine Wahl geblieben, als auszusteigen und ihre Hilfe anzubieten.
»Werden Sie die Pferde erschießen?«
Tremberg wendet sich wieder dem Mann zu. »Wie bitte?«
»Die Polizei! Werden Sie die Pferde erschießen?«
»Ich persönlich nicht«, erwidert Tremberg, die kurz davor steht, die Geduld zu verlieren. »Die zuständige Abteilung ist unterwegs. Sie steckt aber auch im Verkehr fest. Wir tun unser Bestes. Ich könnte natürlich eines von den Mistviechern in den Schwitzkasten nehmen, wenn Sie solange seine Beine festhalten …«
Ken Cullen, der zuständige Inspektor in Uniform, ein dünner, bärtiger Mann, der versucht, ein wenig Ordnung ins Geschehen zu bringen, hört den gefährlichen Unterton in ihrer Stimme und kommt ihr zu Hilfe.
»Es tut mir leid, Sir, wir tun alles in unserer Macht Stehende. Wenn Sie jetzt einfach ins Haus zurückkehren würden, damit wir unsere Arbeit …« Tremberg wendet sich ab. Es gibt Leute, die mehr
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