Delia im Wilden Westen
bis sie den Sinn seiner Mitteilung begriff. „Wie weit ist es noch bis zu der Herde?“ fragte sie.
Akitu hob beide Hände, sodass sie nicht weiter als seine Schultern voneinander entfernt waren. Delia wusste, das bedeutete: „Nur noch ein kleines Stück!“ — Die Iowanokas kannten keine Zahlen und keine Maße.
Das war genau das, was Akitu gerade eingefallen war — die Pferdeweide war gar nicht mehr weit entfernt, und dennoch war nichts zu hören, kein Wiehern, kein Hufschlag, nichts. Das war wirklich sonderbar und erschreckend.
„Vielleicht“, sagte Delia, „sind die Iowanokas auf den Kriegspfad gezogen.“ Aber sie glaubte selber nicht an diese Erklärung. Es gab mehr Pferde als Indianer, und immer mussten ja die Stuten mit ihren Fohlen zurückbleiben. Dass kein Laut die Geräusche des Urwaldes, das Brummen, Quietschen, Zirpen, Knistern und Knarren unterbrach, war wirklich ganz unverständlich.
Erschrocken und mit äußerster Vorsicht pirschten sie weiter. Dann legte Akitu sich auf den Boden, kroch wie eine Schlange, lautlos und mit fast unmerklichen Bewegungen vorwärts.
Delia konnte ihm dieses Kunststück, obwohl sie es schon oft geübt hatte, nicht nachmachen. Sie blieb stehen, hob den Professor auf, presste ihn an ihr klopfendes Herz. Ihr war plötzlich sehr bänglich zumute.
Sie verlor Akitu aus den Augen, stand still, ohne sich zu rühren, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt. Eine endlose Zeit verging, ohne dass Akitu wieder auftauchte. Delias Angst wurde stärker und stärker. Was sollte sie tun, wenn er überhaupt nicht mehr zurückkam? Würde sie allein den Weg zum Indianerdorf finden? Oder zurück in die Prärie? Delia fühlte sich mit einem Mal mutterseelenallein und verlassen mitten im Urwald. Wie gut, dass sie wenigstens den Professor hatte, der ihr tröstend mit seiner rauen kleinen Zunge durch das Gesicht fuhr!
Dann tauchte Akitu doch wieder auf. Er legte die Hand vor den Mund, stieß den Laut eines Käuzchens aus. Das bedeutete für Delia, dass sie ihm folgen sollte. Sie ließ sich diese Aufforderung nicht zweimal geben, fühlte sich gleich wieder unendlich erleichtert.
Sie beeilte sich, so sehr sie konnte, aber die Entfernung zwischen ihr und Akitu blieb immer gleich groß. Sie sah nur den Rücken ihres Freundes, der sich geschmeidig und sicher durch den Urwald bewegte. Am liebsten hätte sie ihn gerufen, denn sie wollte nun doch wissen, was mit den anderen Pferden war und warum man kein Geräusch hörte. Aber sie unterließ es, weil sie Akitu nicht vor den jungen Kriegern, für die sie doch nichts als eine Squaw war, blamieren wollte. Trotzdem wurde sie allmählich ganz schön böse auf ihren Blutsbruder.
Dann verschwand er, und sie wusste, dass er die Lichtung erreicht haben musste. Sie setzte, stolpernd und springend, zum Endspurt an, ließ den Mops wieder auf den Boden nieder. Atemlos erreichte sie Akitu und — stand wie verdonnert.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf das Bild, das sich ihnen bot, ohne auch nur entfernt zu begreifen, was das zu bedeuten haben konnte.
Die Lichtung war leer. Nicht ein einziges Pferd war zu sehen, nicht ein einziger junger Krieger. Sie mussten schon vor mindestens vierundzwanzig Stunden abgezogen sein, denn der Boden war nicht mehr von den unzähligen Hufen zertreten. Das Gras hatte sich längst wieder aufgerichtet.
Schnüffelnd lief der Mops umher.
Delia holte tief Atem. „Der große Häuptling hat den Pferdeplatz verlegen lassen“, sagte sie, „das ist alles! Aber ich habe trotzdem einen schönen Schreck bekommen.“
Akitu sah sie nicht an, sein ebenmäßiges Profil wirkte gespannt wie eine tönerne Maske. „Weiße Männer waren hier“, sagte er, „Soldaten. Sie haben die Pferde fortgetrieben, die Krieger der Iowanokas getötet oder gefangen genommen.“
„Woher willst du das wissen?“ rief Delia verblüfft.
Ohne ihr zu antworten, ging er vor ihr her, am Rand der Lichtung entlang, bog die Büsche auseinander. Jetzt sah auch Delia den breiten Pfad, der, ohne Sorge um eine Entdeckung, durch das Unterholz geschlagen worden war.
Akitu kniete sich nieder, zeigte ihr den Abdruck eines, den Abdruck vieler Hufe auf dem weichen Boden. Dazwischen sah man deutlich die Spuren schwerer Stiefel. Also waren tatsächlich Soldaten hier gewesen. Die Indianer und auch die Trapper pflegten Mokassins aus weichem, handgenähtem Leder zu tragen, die kaum zu entdecken gewesen wären. Die Einwanderer aber, die mit ihren Trecks über die
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