Delia im Wilden Westen
das glaube ich dir. Warte nur, heute Abend sind wir zu Hause.“
Sie hatte deutsch gesprochen, und plötzlich wunderte sie sich über sich selber. Wie konnte sie denn das Indianerdorf als ihr Zuhause bezeichnen! Sie und der Professor, sie hatten doch nur ein richtiges Zuhause, das Städtchen Schönau. Das deutsche Fürstentum, in dem Schönau lag, war so klein, dass es wohl tausendmal in der weiten Prärie hätte untergebracht werden können.
„Aber auf die Größe, Professor“, sagte sie halblaut, denn in ihrem Mops hatte sie doch wenigstens einen Zuhörer, wenn auch einen stummen, „auf die Größe kommt es ja nicht an. Bei uns in unserem richtigen Zuhause gibt es Städte und schmucke Dörfer und das Schloss und … und ...“
Der Mops richtete sich in Delias Armen auf, schnupperte und schnaufte nahe an ihrem Ohr, und es war ganz, als wenn er ihr etwas erzählen wollte.
Delia jedenfalls kam es so vor. „... und Wachtmeister — willst du wohl sagen? Stimmt, das ist ein ekelhafter Kerl. Aber ekelhafte Kerle gibt es ja auch hier! Denk doch mal an den Kommandanten von Fort Chickdown, der hat sich doch auch nicht fein benommen ... und an Smith, den einäugigen Gauner, der die Indianer betrunken gemacht hat, um sie dann zu betrügen ... und an Bill, den Trapper, der mich gefangen nehmen und Akitu seinem Schicksal überlassen wollte! Nein, nein, Professor, ich bin sicher, dass auch du inzwischen erheblich vernünftiger geworden bist! Bestimmt würdest du dem Wachtmeister nicht mehr die Hose zerreißen, nicht wahr?“
Der Mops kuschelte sich an Delia, und statt einer Antwort riss er das Mäulchen auf, gähnte herzhaft und streckte seine Zunge heraus. Es sah ganz so aus, als ob er lachte.
Und Delia fasste das auch so auf. „Hast schon recht“, sagte sie, beugte sich über den Professor und gab ihm einen raschen kleinen Kuss auf die Nase, „unseren Vater würden wir dennoch nicht beschimpfen lassen! Er musste ja nicht nach Amerika fliehen, weil er etwas Schlimmes getan hatte, sondern weil er für ein deutsches Vaterland gekämpft hat! Unser Vater ist ein Held!“
„Wau“, machte der Mops, und das war der überzeugendste Ausdruck der Zustimmung, den er zu vergeben hatte.
Delia war vor lauter Träumen und Reden ein gutes Stück hinter Akitu zurückgeblieben. Jetzt presste sie die Schenkel zusammen, hielt die Zügel kurz und hatte den jungen Indianer in einem gewaltigen Galopp bald eingeholt.
Ja, reiten konnte Delia! Das hatte sie auf der Flucht gelernt, als sie noch in Europa ein kurzes Gastspiel beim Zirkus gegeben hatte. Und die Indianerkleidung, die Akitus Schwester Inona ihr aus bunt verziertem Leder genäht hatte, war für diesen Sport auch prächtig geeignet. Wenn Delia die Mädchentracht der damaligen Zeit mit ihren weiten langen Röcken getragen hätte, hätte sie gar nicht im Herrensitz reiten können, sondern nur im Damensitz, wie es damals für Mädchen üblich war, beide Beine an einer Seite. Das ist auch auf einem gut dressierten Pferd recht schwierig. Die halbwilden Indianerpferde, die man mit dem Schenkeldruck beherrschen musste, waren für so einen vornehmen Reitstil gar nicht geeignet, sie hätten selbst Delia nicht lange auf ihrem Rücken geduldet.
Kurz bevor sie ihren Freund erreicht hatte, sah sie, wie er den rechten Arm senkrecht in die Luft hob. Das war ein Zeichen, dessen Bedeutung sie wohl kannte, es hieß: „Aufgepasst!“
Und Delia passte auf. Ihre Augen suchten den Horizont ab, und sie entdeckte weit, weit jenseits der Prärie, die sich wie ein grünes, wogendes Meer vor ihnen ausbreitete, einen schmalen dunklen Streifen. Sie legte nach Indianerart die Hand über die Augen, um, gegen die blendend helle Sonne geschützt, besser sehen zu können. Ihre großen, braunen, gar nicht indianischen Augen blickten scharf, und so erkannte sie, dass es der Urwald war, der in der Feme sichtbar wurde.
„Hurra!“ rief sie laut. „Hurra, hurra! Wir haben es erreicht … bald sind wir da!“
Akitu verstand zwar kein Wort Deutsch — außer dem Namen Professor, den er, wie Delia selber, für den Mops gebrauchte. Aber es gehörte keine Sprachkenntnis dazu, um zu erkennen, dass Delia nur ihrer Freude Ausdruck geben wollte.
Er sah sich nach ihr um, und wenn sich auch keine Miene seines mattbraunen, edel geschnittenen Gesichtes verzog, so stand doch in seinen schwarzen Augen ein Lächeln. „Ehe die Sonne versinkt“, sagte er in der Sprache der Iowanokas, „werden wir den Urwald erreicht
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