Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
hinterlistiger Anfall stand wohl auch nicht zu befürchten. Der Engländer brauchte nun, da er mich gefunden hatte, weder ihn noch den Dolmetscher, und so wurde auch dieser Letztere abgelohnt, und zwar mit der Weisung, daß er morgen früh Spandareh verlassen und nach Mossul zurückkehren könne.
Die übrige Zeit des Abends verbrachten wir mit den Kurden in lebhafter Unterhaltung, welche mit einem Tanze schloß, der uns zu Ehren veranstaltet wurde. Man lud uns ein, in den Hof zu kommen. Dieser bildete ein Viereck, das von einem niederen Dache eingeschlossen wurde, auf dem sämmtliche anwesende Männer Platz nahmen. Hier lagen, hockten und knieten sie in den malerischsten Stellungen, während sich gegen dreißig Frauen in dem Hofraume zum Tanze versammelt hatten.
Sie bildeten einen doppelten Kreis, in dessen Mitte ein Vortänzer stand, der einen Wurfspieß schwang. Das Orchester bestand aus einer Flöte, einer Art von Geige und zwei Tamburins. Der Vortänzer gab das Zeichen zum Beginne durch einen lauten Ruf. Seine Tanzkunst bestand aus den mannigfaltigsten Arm- und Beinbewegungen, die er immer auf einer und derselben Stelle ausführte. Der Kreis der Frauen ahmte dieselben nach. Ich fand nicht, daß diesem einfachen Tanze irgend ein Gedanke, irgend eine Idee zu Grunde liege; aber dennoch gewährten diese Frauen mit ihren eckigen Turbanmützen, von denen lange, über den Rücken geschlungene Schleier herabwallten, bei der ungewissen Fackelbeleuchtung einen ganz hübschen Anblick.
Als dieser einfache Tanz beendet war, gaben die Männer ihre Zufriedenheit durch ein lautes Murmeln zu erkennen, ich aber zog ein Armband hervor und rief die Tochter des Vorstehers, welche mich beim Essen bedient hatte und sich jetzt mit unter den Tänzerinnen befand, zu mir herauf. Es bestand aus gelben Glasstücken und hatte das täuschende Ansehen jenes rauchigen, halbdurchsichtigen Bernsteins, der im Oriente so beliebt, gesucht und theuer ist. Bei einem deutschen Tabulettkrämer hatte ich dieses Armband mit fünfzig bis sechzig Pfennigen bezahlt; hier aber richtete ich voraussichtlich eine Freude damit an, die mir bedeutend höher angerechnet wurde.
Das Mädchen kam herbei. Alle Männer hatten gehört, daß ich sie zu mir verlangte, und wußten, daß es sich um eine Belobigung handeln werde. Ich mußte der Höflichkeit meiner Erzieher Ehre zu machen suchen.
»Komm herbei, Du lieblichste Tochter der Kurden von Missuri! Auf Deinen Wangen glänzt das Licht Schefag, und Dein Antlitz ist lieblich wie der Kelch Sumbul. Deine langen Locken duften wie der Hauch Gulilik, und Deine Stimme klingt wie der Gesang Bulbuli. Du bist das Kind der Gastfreundschaft, die Tochter eines Helden, und wirst die Braut eines weisen Kurden und eines tapfern Kriegers werden. Deine Hände und Füße haben mich erfreut wie der Tropfen, der den Durstigen labt. Nimm dieses Bazihn, und denke meiner, wenn Du Dich damit schmückest!«
Sie erröthete vor Freude und Verlegenheit und wußte nicht, was sie antworten sollte.
»Az khorbane ta, Hodia – ich bin Dein Eigen , o Gebieter,« lispelte sie endlich.
Dies ist ein gebräuchlicher Gruß der kurdischen Frauen und Mädchen, einem vornehmen Manne gegenüber. Auch der Dorfälteste war so erfreut über die seiner Tochter gewordene Auszeichnung, daß er sogar die orientalische Zurückhaltung ganz vergaß und sich das Geschenk reichen ließ, um es zu betrachten.
»O wie herrlich, wie kostbar!« rief er aus und ließ das Armband ringsum von Hand zu Hand gehen. »Das ist Bernstein, so guter, prächtiger Bernstein, wie ihn der Sultan nicht köstlicher an seiner Pfeife trägt! Meine Tochter, Dein Vater kann Dir keine solche Hochzeitsgabe schenken, wie sie dieser Emir Dir gegeben hat. Aus seinem Munde ertönt die Stimme der Weisheit, und von den Haaren seines Simbehl träufelt die Güte. Frage ihn, ob er es Dir erlaubt, ihm so zu danken, wie eine Tochter ihrem Vater dankt!«
Sie erröthete noch mehr als vorhin; aber sie frug dennoch:
»Erlaubst Du es, Herr?«
»Ich erlaube es.«
Da bog sie sich zu mir, der ich auf dem Boden saß, hernieder und küßte mich auf den Mund und auf die beiden Wangen; dann aber eilte sie schnell davon.
Ich war über diese Art, seine Dankbarkeit zu beweisen, nicht erstaunt; denn ich wußte, daß es den Mädchen der Kurden erlaubt ist, Bekannte auch mit einem Kusse zu begrüßen. Einem höher Stehenden gegenüber würde eine solche Vertraulichkeit eine Beleidigung sein, und daher hatte ich
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