Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
anders mit Dir sprechen; aber ich bin ein Emir aus Tschermanistan, und Du bist nur ein kleiner Agha aus Fars. Übrigens hast Du nicht einmal gelernt, mit Männern zu verkehren. Auf der Straße verlangtest Du Platz wie für einen Deftertar, hier in Deiner Wohnung vergaßest Du, unsern Gruß zu beantworten; Du hießest uns nicht, niederzusitzen; Du botest uns weder Pfeifen noch Tabak an; Du nanntest uns Kaffirs, Schweine und Hunde. Und doch, was bist Du für ein Wurm gegen uns und Deinen Herrn, den Mirza! Mit einem Löwen kämpfe ich; einen Wurm aber störe ich nicht, wenn es ihm gefällt, im Kot herumzukriechen. Hassan Ardschir-Mirza hat mir sein Eigenthum übergeben; ich bleibe also hier. Nun thue Du, was Du nicht lassen kannst!«
»Ich werde mich über Dich beschweren,« sagte er giftig.
»Ich habe nichts dagegen.«
»Ich werde Dir nichts übergeben!«
»Das ist auch gar nicht nöthig, denn ich sitze ja bereits hier und habe Alles übernommen.«
»Du wirst nichts von Allem, was mir anvertraut ward, anrühren!«
»Ich werde Alles anrühren, was mir von jetzt an anvertraut ist. Solltest Du mich dabei belästigen, so werde ich einfach den Mirza benachrichtigen. Jetzt aber gib Befehl, daß wir ein gutes Mahl erhalten, denn ich bin nicht nur ein Gast, sondern nun der Herr dieses Hauses.«
»Es gehört weder Dir noch mir!«
»Aber Du hast es jedenfalls gemietet. Mache keine Umstände. Ich will Dich schonen, indem ich Dir erlaube, den Befehl zu ertheilen; thust Du es nicht, so sorge ich selbst für uns.«
Er sah sich in die Enge getrieben und stand auf.
»Wohin?« frug ich.
»Hinaus, um Euch Speise zu bestellen.«
»Das kannst Du hier auch thun. Rufe den Diener!«
»Mann, bin ich etwa Dein Gefangener?«
»So ziemlich! Du verweigerst mir meine Rechte; ich muß Dich also verhindern, diesen Ort zu verlassen, um vielleicht etwas zu unternehmen, was ich nicht billigen darf.«
»Herr, Du weißt nicht, wer ich bin!«
Jetzt nannte er mich zum erstenmal Herr; er hatte seine Sicherheit verloren.
»Ich weiß es sehr genau,« antwortete ich. »Du bist Mirza Selim Agha, weiter nichts!«
»Ich bin der Vertraute und Freund des Mirza. Ich habe Alles geopfert, um ihm zu folgen und sein Vermögen zu retten.«
»Das ist schön und lobenswerth von Dir; ein Diener soll seinem Herrn in Treue ergeben sein. Du wirst mich jetzt zu dem Mirza begleiten.«
»Ja, das werde ich thun, sogleich!«
»Dieser mein Begleiter bleibt hier zurück, und Du sorgst dafür, daß es ihm an nichts fehle. Das Übrige wird Hassan Ardschir selbst bestimmen.«
Ich ertheilte dem Engländer seine Instruction, die ihm sehr willkommen war, da er sich hier behaglich pflegen konnte, während ich mich wieder hinaus in die Sonnengluth begeben mußte. Nachdem der Agha die darauf bezüglichen Befehle ertheilt hatte, traten wir in den Hof, wo er seinen kostbaren Schimmel, den er sich erst in Ghadhim vom Gelde des Mirza gekauft hatte, wieder besteigen wollte.
»Nimm ein anderes Thier,« sagte ich.
Er sah mich erstaunt an und frug: »Warum?«
»Damit Du kein Aufsehen erregst. Nimm also das Pferd eines Dieners!«
Er mußte mir wohl oder übel zu Willen sein. Der Diener Arab folgte uns. Um ein etwaiges Nachspüren irre zu leiten, ließ ich uns nach Madhim übersetzen, welches Ghadhim gegenüber liegt, und schlug dann auf einem Umwege die Richtung nach Norden ein.
Madhim ist ein ansehnlicher Flecken auf dem linken Ufer des Tigris, eine Stunde nördlich von Bagdad. Dort liegt der Imam Abu Hanife begraben, einer der Gründer der vier orthodoxen Schulen des Islam; nach ihm richtet sich das ganze Gesetzbuch und Ritual der Osmanen. Ursprünglich stand über seinem Grabe eine Moschee, welche ihm der Seldschukide Malek Schah errichtet hatte; als aber der erste Osmanide, Suleiman der Erste, das widerspenstige Bagdad bemeistert hatte, baute er ein festes Schloß um die Ruhestätte. Abu Hanife wurde von dem Khalifen Manssur aus Haß vergiftet; jetzt strömen Tausende von Schiiten zu seinem Grabe.
Es vergingen zwei Stunden, bis wir den Ort erreichten, an welchem sich der Mirza gelagert hatte. Er war sichtlich verwundert, mich wiederzusehen, empfing aber den Agha mit großer Freundlichkeit.
»Warum kommst Du selbst zurück?« frug er mich dann.
»Frage diesen Mann!« antwortete ich, auf Selim deutend.
»So rede Du!« gebot er demselben.
Der Agha zog den Brief hervor und fragte:
»Herr, hast Du dies geschrieben?«
»Ja; Du kennst doch meine Schrift! Warum fragst Du
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