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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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es mir nicht; die hätte ich zu jeder Zeit erhalten können. Nun da es so stand, handelte es sich für mich darum, nicht erst seitwärts abzuschweifen, sondern gleich jetzt und für immer in den Weg einzubiegen, an dessen anderm Ende die Ideale lagen, die ich seit meiner Knabenzeit im tiefsten Herzen trug. Schriftsteller werden, Dichter werden! Lernen, lernen, lernen! Am Großen, Schönen, Edeln mich emporarbeiten aus der jetzigen tiefen Niedrigkeit! Die Welt als Bühne kennen lernen, und die Menschheit, die sich auf ihr bewegt! Und am Schlusse dieses schweren, arbeitsreichen Lebens für die andere Bühne schreiben, für das Theater, um dort die Rätsel zu lösen, die mich schon seit frühester Kindheit umfangen hatten und die ich heut zwar fühlte, aber noch lange, lange, lange nicht begriff!
    Dieser sich in mir vollziehende Gedanken- oder Willensvorgang war nicht etwa ein klarer, kurz und bündig sich aussprechender, o nein, denn es herrschte jetzt in mir das strikte Gegenteil von Klarheit; es war Nacht; es gab nur wenige freie Augenblicke, in denen ich weitersah, als grad der heutige Tag mich sehen ließ. Diese Nacht war nicht ganz dunkel; sie hatte Dämmerlicht. Und sonderbar, sie erstreckte sich nur auf die Seele, nicht auch auf den Geist. Ich war seelenkrank, aber nicht geisteskrank. Ich besaß die Fähigkeit zu jedem logischen Schlusse, zur Lösung jeder mathematischen Aufgabe. Ich hatte den schärfsten Einblick in alles, was außer mir lag; aber sobald es sich mir näherte, um zu mir in Beziehung zu treten, hörte diese Einsicht aus. Ich war nicht imstande, mich selbst zu betrachten, mich selbst zu verstehen, mich selbst zu führen und zu lenken. Nur zuweilen kam ein Augenblick, der mir die Fähigkeit brachte, zu wissen, was ich wollte, und dann wurde dieses Wollen festgehalten bis zum nächsten Augenblicke. Es war ein Zustand, wie ich ihn noch bei keinem Menschen gesehen und in keinem Buche gelesen hatte. Und ich war mir dieses seelischen Zustandes geistig sehr wohl bewußt, besaß aber nicht die Macht, ihn zu ändern oder gar zu überwinden. Es bildete sich bei mir das Bewußtsein heraus, daß ich kein Ganzes mehr sei, sondern eine gespaltene Persönlichkeit, ganz dem neuen Lehrsatze entsprechend, nicht Einzelwesen, sondern Drama ist der Mensch. In diesem Drama gab es verschiedene, handelnde Persönlichkeiten, die sich bald gar nicht, bald aber auch sehr genau von einander unterschieden.
    Da war zunächst ich selbst, nämlich ich, der ich das Alles beobachtete. Aber wer dieses Ich eigentlich war und wo es steckte, das vermochte ich nicht zu sagen. Es besaß große Ähnlichkeit mit meinem Vater und hatte alle seine Fehler. Ein zweites Wesen in mir stand stets nur in der Ferne. Es glich einer Fee, einem Engel, einer jener reinen, beglückenden Gestalten aus Großmutters Märchenbuche. Es mahnte; es warnte. Es lächelte, wenn ich gehorchte, und es trauerte, wenn ich ungehorsam war. Die dritte Gestalt, natürlich nicht körperliche, sondern seelische Gestalt, war mir direkt widerlich. Fatal, häßlich, höhnisch, abstoßend, stets finster und drohend; anders habe ich sie nie gesehen, und anders habe ich sie nie gehört. Denn ich sah sie nicht nur, sondern ich hörte sie auch; sie sprach. Sie sprach oft ganze Tage und ganze Nächte lang in einem fort zu mir. Und sie wollte nie das Gute, sondern stets nur das, was bös und ungesetzlich war. Sie war mir neu; ich hatte sie nie gesehen, sondern erst jetzt, seitdem ich innerlich gespalten war. Aber wenn sie einmal still war und ich darum Zeit fand, sie unbemerkt und aufmerksam zu betrachten, dann kam sie mir so vertraut und so bekannt vor, als ob ich sie schon tausendmal gesehen hätte. Dann wechselte ihre Gestalt, und es wechselte auch ihr Gesicht. Bald stammte sie aus Batzendorf, aus dem Kegelschub oder aus der Lügenschmiede. Heut sah sie aus wie Rinaldo Rinaldini, morgen wie der Raubritter Kuno von der Eulenburg und übermorgen wie der fromme Seminardirektor, als er vor meinem Talgpapiere stand.
    Diese inneren Beobachtungen machte ich nicht mit einem Male, sondern nach und nach. Es vergingen viele, viele Monate, bis sie sich in mir so weit entwickelt hatten, daß ich sie mit dem geistigen Auge fassen und durch das Gedächtnis festhalten konnte. Und da begann ich zu begreifen, um was es sich eigentlich handelte. Was sich in jedem Menschen vollzieht, ohne daß er es bemerkt oder auch nur ahnt, das vollzog sich in mir, indem ich es sah und hörte. War dies ein

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