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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Vorzug, eine Gottesgnade?
    Oder war ich verrückt? Dann aber jedenfalls nicht geistig, sondern seelisch verrückt, denn ich machte diese Beobachtungen mit einer Objektivität und Kaltblütigkeit, als ob es sich nicht um mich selbst, sondern um einen ganz andern, mir vollständig fremden Menschen handle. Und ich lebte das gewöhnliche, alltägliche Leben ganz so, wie jede gesunde Person es lebt, die von derartigen psychologischen Vorgängen nicht angefochten wird. Es kehrte mir die Kraft und der Wille zum Leben zurück. Ich arbeitete. Ich gab Unterricht in Musik und fremden Sprachen. Ich dichtete; ich komponierte. Ich bildete mir eine kleine Instrumentalkapelle, um das, was ich komponierte, einzuüben und auszuführen. Es leben noch heut Mitglieder dieser Kapelle. Ich wurde Direktor eines Gesangvereins, mit dem ich öffentliche Konzerte gab, trotz meiner Jugend. Und ich begann, zu schriftstellern. Ich schrieb erst Humoresken, dann »Erzgebirgische Dorfgeschichten«. Ich hatte nicht die geringste Not, Verleger zu finden. Gute; packende Humoresken sind äußerst selten und werden hoch bezahlt. Die meinigen gingen aus einer Zeitung in die andere. Es war eine Freude, zu sehen, wie sich das so vortrefflich entwickelte. Aber diese Freude wurde in der grausamsten Weise durch eine andere Entwickelung vergällt, die sich zu gleicher Zeit und dem konform in meinem Innern vollzog. Die Spaltung dort griff weiter um sich. Jede Empfindung, jedes Gefühl schien Form annehmen zu wollen. Es wimmelte von Gestalten in mir, die mitsorgen, mitarbeiten, mitschaffen, mitdichten und mitkomponieren wollten. Und jede dieser Gestalten sprach; ich mußte sie hören. Es war zum wahnsinnig werden! Wie es früher außer mir selbst nur zwei Gestalten gegeben hatte, die helle und die dunkle, so jetzt außer mir zwei Gruppen. Und je länger es dauerte, daß sie sich von einander unterschieden, um so deutlicher erkannte ich sie. Es kämpften da zwei einander feindliche Heerlager gegen einander: Großmutters helle, lichte Bibel- und Märchengestalten gegen die schmutzigen Dämone jener unglückseligen Hohensteiner Leihbibliothek. Ardistan gegen Dschinnistan. Die übererbten Gedanken des Sumpfes, in dem ich geboren wurde, gegen die beglückenden Ideen des Hochlandes, nach dem ich strebte. Die Miasmen einer vergifteten Kinder- und Jugendzeit gegen die reinen, beseligenden Wünsche und Hoffnungen, mit denen ich in die Zukunft schaute, die Lüge gegen die Wahrheit, das Laster gegen die Tugend, die eingeborene menschliche Bestie gegen die Wiedergeburt, nach der jeder Sterbliche zu streben hat, um zum Edelmenschen zu werden.
    Solche innere Kämpfe hat jeder denkende Mensch, der vorwärts strebt, durchzumachen. Bei ihm sind es Gedanken und Empfindungen, die gegen einander streiten. Bei mir aber hatten diese Gedanken und Regungen sich zu sichtbaren und hörbaren Gestalten verdichtet. Ich sah sie bei geschlossenen Augen, und ich hörte sie, bei Tag und bei Nacht; sie störten mich aus der Arbeit; sie weckten mich aus dem Schlafe. Die dunklen waren mächtiger als die hellen; gegen ihre Zudringlichkeit gab es keinen Widerstand. In gewöhnlichen Stunden herrschte Ruhe in mir; da gab es keinen Konflikt. Sobald ich aber zu arbeiten begann, erwachte Gestalt um Gestalt. Eine jede wollte die Arbeit so, wie sie es wünschte. Auch kam es sehr auf das Thema an, welches ich behandelte. Gegen eine lustige Humoreske hatte Niemand etwas. Die konnte ich ohne Streit und Störung vollenden. Bei einer ernsten Dorfgeschichte aber erhoben sich zahlreiche Stimmen für und gegen mich. In diesen Dorfgeschichten wies ich regelmäßig nach, daß Gott nicht mit sich spotten läßt, sondern genau so straft, wie man sündigt. Hiergegen empörten sich gewisse Gestalten in mir. Den größten Widerstand aber fand ich, sobald ich in meinen Arbeiten oder meiner Lektüre noch höhere Linien bestieg. Wenn ich mir ein religiös oder ethisch oder ästhetisch hohes Thema stellte, empörte sich die dunkle Gestalt in mir mit aller Macht dagegen und bereitete mir Qualen, die ganz unaussprechlich sind. Um zu zeigen, in welcher Weise das vor sich ging und was für Qualen das waren, will ich ein erläuterndes Beispiel bringen: Ich hatte den Auftrag erhalten, eine Parodie von »des Sängers Fluch« von Uhland zu schreiben. Ich tat es. Die Parodie bekam den Titel »des Schneiders Fluch«. Ein Schneider verfluchte einen Schuster, sein baufälliges Häuschen und winziges Gärtchen, in dem nur zwei

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