Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Freiheit zu.
Das, was man einst als »Verbrecherwelt« brandmarkte, gibt es nicht mehr. Die Bewohnerschaft der heutigen Strafhäuser rekrutiert sich aus allen Ständen des Volkes. Sie setzt sich in Beziehung auf Beruf und Intelligenz aus denselben Prozentsätzen zusammen wie die der »Unbestraften«.
An der Tat des Einzelnen ist auch die Gesamtheit schuld. Sie hat ihn um ihrer selbst willen zu »ent«-schuldigen.
Der deutsche Richterstand ist sich der Wahrheit dieses Satzes wohlbewußt. Ich habe keinen einzigen Richter kennen gelernt, auch unter denen, welche gegen mich entschieden, dem ich einen Vorwurf machen könnte. Die zahlreichen Prozesse, zu denen meine Gegner mich förmlich zwingen, geben mir reichliche Gelegenheit, Erfahrungen zu machen, und ich muß sagen, daß ich alle diese Herren, sowohl Straf- als auch Zivilrichter, nur hochachten kann. Ich habe sogar den Fall erlebt, daß ein Dresdener Richter mir Recht gab, obwohl alle seine Verwandten und Bekannten gegen mich waren und ihn in diesem Sinne zu beeinflussen suchten. Welche Genugtuung und welch ein Vertrauen zu dem ganzen Richterstand dies erweckt, das weiß nur der, der Gleiches wie ich erlebte.
In Beziehung auf den Strafvollzug habe ich dasselbe auszusprechen. Ich habe während meiner Gefangenschaft nicht einen einzigen Oberbeamten oder Aufseher kennen gelernt, der mir in Beziehung auf Gerechtigkeit und Humanität Grund zu irgend einem Tadel gegeben hätte. Ich behaupte sogar, daß die Aufseher die Strenge des Dienstes viel stärker empfinden als der Gefangene selbst. Ich habe hunderte von Malen eine Güte, eine Geduld und Langmut bewundert, welche mir unmöglich gewesen wäre. Das Gefängnis ist kein Konzerthaus und kein Tanzsalon, sondern eine sehr, sehr ernste Stätte, in welcher der Mensch zur Erkenntnis seiner selbst zu kommen hat. Derjenige Detinierte, der so verständig ist, sich dies zu sagen, wird niemals Grund zur Klage, sondern alle mögliche Hilfe finden, das, was ihm vorzuwerfen war, vergessen zu machen. Es gab Beamte, die ich herzlich lieb gewann, und ich bin vollständig überzeugt, daß ihre Erwiderung dieser meiner Zuneigung nicht etwa nur vorgetäuscht, sondern ehrlich und aufrichtig war.
Wenn die Erfolge unserer Rechtsprechung und unsers Strafvollzuges trotzdem nicht solche sind, wie wir sie uns wünschen, so tragen wahrlich nicht die Richter und auch nicht die Strafanstaltsbeamten die Schuld, sondern die Ursachen sind ganz anderswo zu suchen, nämlich in der Mangelhaftigkeit der Gesetzgebung, in der törichten Selbstgerechtigkeit des lieben Nächsten, in gewissen, allzu tief eingefressenen Vorurteilen und nicht zum geringsten auch in unserer sogenannten, hochgepriesenen »Kriminalpsychologie«, an welche nur gewisse Fachleute glauben, nicht aber der wirkliche Menschenkenner und noch viel weniger der, um den es sich hier eigentlich handelt, nämlich der sogenannte – – – Verbrecher.
Dies sind die Quellen, aus denen immer wieder neue Straftaten und neue Rückfälle fließen, obgleich doch sonst alles mögliche geschieht, diese trüben Wasser einzudämmen und nach und nach zum Versiegen zu bringen. Soll ich sie mit Beispielen belegen und damit sogleich bei der letzten, der »Kriminalpsychologie«, beginnen, so liegen vor mir mehrere Werke dieses hochinteressanten, äußerst strittigen Faches aufgeschlagen, deren Inhalt von Beweisen dessen, was ich behaupte, geradezu wimmelt. Einer der Herren Verfasser, ein bekannter Staatsanwalt, zeichnet sich durch seine zahlreichen Versuche aus, die Gesetzgebung und den Strafvollzug in mildere, humanere Bahnen zu lenken. Er hat sich dadurch einen Namen gemacht. Er wird, wann und wo es sich um diese Humanisierung handelt, oft genannt und würde ein Segen auf diesem Gebiete sein, wenn er nicht als Kriminalpsychologe das wieder zerstörte, was er als Vorkämpfer der Humanität aufzubauen strebt. Ich nenne auch hier keinen Namen, denn es kommt mir nicht auf die Person, sondern auf die Sache an. Als Menschenfreund im höchsten Grade beachtenswert, kann er als »Seelenforscher« in fast noch höherem Grade unbedachtsam und grausam sein. Indem er seine öffentlichen Behauptungen mit Beweisen zu belegen versucht, läßt er sich so weit hinreißen, Personen, die vor dreißig und noch mehr Jahren bestraft worden sind, nun aber sich in mühsam errungener, öffentlicher Stellung befinden, mit in seine »psychiatrischen« Betrachtungen zu ziehen und sie in seinen Schriften derart kenntlich zu machen,
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