Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
nur noch eine Stunde. Es läutete Mittag, als Othegraven vor dem Pfarrhause hielt. Seidentopf, den er bei seiner vorgestrigen Anwesenheit in Hohen-Vietz nicht aufgesucht hatte, begrüßte ihn herzlich an der Schwelle seiner Studierstube, die jetzt, wo die Wintersonne schien, ein besonders freundliches Ansehen hatte. Alles war verändert, und die Haushälterin, die sich am zweiten Feiertage durch ihr aufgeregtes Hin- und Herfahren mit Schippe und Räucheressenz so bemerklich gemacht hatte, zeigte heute die vollkommenste Ruhe, als sie, nach dem Brauch des Hauses und ohne daß eine Aufforderung dazu ergangen wäre, ein Frühstück vor Othegraven auf den Tisch stellte.
Beide Männer hatten auf einem kleinen Sofa in der Nähe des Ofens, unter dem verstaubten Regal der Bibliotheca theologica, Platz genommen und sahen in den verschneiten Garten hinaus. Eine Esche stand vor dem Fenster, in Sommerzeit ein wunderschöner Baum; jetzt, wo seine Zweige wie geknotete Hanfstrippen niederhingen, ein trauriger Anblick. Aber keiner von beiden hatte ein Auge dafür, und während der Konrektor, dessen Vorhaben einem guten Appetit nicht günstig war, sich mehr an ein Glas Wein als an das Frühstück hielt, erzählte der Pastor von dem, was sich seit vorgestern in Hohen-Vietz ereignet hatte, von dem Einbruch und von dem Auffinden der Strolche auf dem Rohrwerder.
»Abenteuer und Kriegszüge, als hätten wir schon den Feind im Lande«, so schloß er.
Othegraven, augenscheinlich in sehr unkriegerischer Stimmung, brachte der Erzählung dieser Dinge nur ein geringes Interesse entgegen, das erst wuchs, als der Gesprächsgegenstand wechselte und Seidentopf von dem zweiten Feiertage, ihrem heiteren Beisammensein an jenem Abende, von Pastor Zabels Verlegenheit beim Pfänderspiel und vor allem von Marie zu plaudern begann, wie sie so reizend gewesen sei und so Hübsches über seinen Werneuchner Amtsbruder gesprochen habe, trotzdem er ihr nicht habe beistimmen können.
»Sie könnten mir nichts sagen«, unterbrach ihn Othegraven, »das mich mehr erfreute. Denn wissen Sie, lieber Pastor, ich habe eine herzliche Neigung zu diesem schönen Kinde.«
Seidentopf erschrak; um so mehr, je höher er Othegraven schätzte. Nie war an einen solchen Fall von ihm gedacht worden; jetzt, wo er eintrat, empfand er ihn als eine Unmöglichkeit. Er faßte sich endlich und fragte: »Weiß Marie davon?«
»Nein, ich habe vorgestern mit dem Schulzen gesprochen. Er hat mir geantwortet, Marie sei ein Stadtkind und gehöre in die Stadt; wenn er sie sich an der Seite eines braven Mannes, der sie liebe, denke, so lache ihm das Herz. Und eines Studierten, bald vielleicht eines Pastors Frau, das sei so recht das, was er sich immer gewünscht habe. Das Kind sei sein Augapfel, und mein Antrag sei ihm eine Ehre; aber sie müsse selber entscheiden. Ich konnte ihm nur zustimmen; und da bin ich nun, um mir diese Entscheidung zu holen.«
»Ich wünsche Ihnen Glück, Othegraven. Aber alles erwogen, paßt Marie zu Ihnen?«
Othegraven wollte antworten; Seidentopf indessen, als er aus den ersten entgegnenden Worten heraushörte, daß sich die Antwort nur auf das »Gazekleid mit den Goldsternchen« und alles das, was damit in Zusammenhang war, beziehen werde, unterbrach den Konrektor und sagte ruhig: »Ich meine nicht das, ich meine, haben Sie bedacht, ob zwei Naturen zueinander passen, von denen die eine ganz Phantasie, die andere ganz Charakter ist?«
»Ich habe es bedacht; aber daß ich es Ihnen bekenne, mehr in Hoffnung als in Zweifel und Befürchtung. Eine Frau von Phantasie, ein Mann von Charakter, wenn ich diese auszeichnende Eigenschaft, die Sie mir zuerkennen, ohne weiteres annehmen darf, ist gerade das, was mir als ein Ideal erscheint. Was ist die Ehe anders als Ergänzung?«
»So heißt es in Büchern und Abhandlungen, und ich kann mir Fälle denken, oder sage ich lieber, ich kenne Fälle, wo dies zutrifft. Aber wenn ich in dem Buche meiner Erfahrungen nachschlage, so ist es im großen und ganzen doch umgekehrt. Die Ehe, zum mindesten das Glück derselben, beruht nicht auf der Ergänzung, sondern auf dem gegenseitigen Verständnis. Mann und Frau müssen nicht Gegensätze, sondern Abstufungen, ihre Temperamente müssen verwandt, ihre Ideale dieselben sein. Vor allem aber, lieber Othegraven, wir sind noch nicht bei der Ehe. Es handelt sich zunächst um den Zug des Herzens, der fast immer nach dem Gleichgearteten geht; wenigstens bei Naturen wie Mariens.«
Othegraven
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