Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
bis hierher angeschlagenen Direktorialtones, in meiner geängstigten Dichtereitelkeit Ihrer freundlichen Beurteilung, speziell auch der Nachsicht der beiden Kastaliamitglieder, die mich gestern durch ihren Besuch erfreuten, empfehle. Voll berechtigten Mißtrauens in unsere Kirch-Göritzer Postverhältnisse, habe ich geschwankt, ob es nicht vielleicht geraten sei, diesen Brief durch einen Expressen an Sie gelangen zu lassen; vierundzwanzig Stunden aber für eine Entfernung, die selbst mit dem Umweg über Küstrin nur anderthalb Meilen beträgt, sind reichlich bemessen, und so hege ich denn die Hoffnung, diese Zeilen samt ihrer Einlage rechtzeitig bei Ihnen eintreffen zu sehen. Que Dieu vous prenne, vous et ma lettre, dans sa garde! Mit diesem Wunsche, der sich in Form und Sprache fast mehr schon gegen Guse als gegen Hohen-Vietz verneigt, Ihr treuergebenster Doktor Faulstich.«
»Allerliebst«, sagte Kathinka.
»Ich gebe euch auch noch die Nachschrift.« Und Renate las weiter: »Die Toilette, mein gnädigstes Fräulein, darf Sie nicht beunruhigen, trotzdem es niemand Geringeres als Melpomene selbst ist, der ich meine Prologstrophen in den Mund gelegt habe. In wie vielen Beziehungen auch die neun Schwestern von Klio bis auf Polyhymnia sich beschwerlich erweisen mögen, in einem Punkte sind sie bequem: in der Kostümfrage. Der Faltenwurf ist alles. Ich vertraue übrigens, wenn wir eines Rats benötigt sein sollten, auf Demoiselle Alceste, die mit Hilfe Racines und seiner Schule seit vierzig Jahren unter den Atriden gelebt hat und die Staffeln zwischen Klytämnestra und Elektra beständig auf- und niedergestiegen ist.«
»Ach, wie schade!« rief Maline vom Fenster her, ganz nach Art verwöhnter Dienerinnen, die sich gern ins Gespräch mischen.
»Ja, da hast du recht«, sagte Renate, halb in wirklichem, halb in scherzhaftem Unmut, während sie den Brief wieder zusammenlegte. »Da blitzt es nun mal einen Augenblick herauf, aber nur um mir das Dunkel meiner Hohen-Vietzer Tage wieder um so fühlbarer zu machen. Verzeihe, Kathinka, daß ich undankbar deines Besuches und der Stunden vergesse, die du mir an meinem Bett und auch vorher schon weggeplaudert hast, aber daß ich um diese Fahrt nach Guse komme und um Demoiselle Alceste und um meinen Prolog, das verwinde ich mein Lebtag nicht. Sage selbst: als Muse, als Melpomene; wie das schon klingt! Und von einer französischen Schauspielerin eigenhändig drapiert! Ich kann siebzig Jahre alt werden, ohne zu so was Herrlichem je wieder aufgefordert zu werden.«
»Aber ist es denn unmöglich?« fragte Kathinka. »Du fühlst dich wohler, das Fieber ist fort. Komm mit, wir stecken dich in einen Fußsack und von oben her in einen Pelz.«
Renate schüttelte den Kopf. »Das darf ich dem alten Leist nicht antun. Wenn ich ihm stürbe – das verzieh’ er mir all mein Lebtag nicht. Nein, ich bleibe; und du , Kathinka, mußt die Rolle sprechen.«
»Ich?«
»Ja, du hast keine Wahl. In dem Salon unserer Tante ist, wie du weißt, außer dir und mir nichts von Damenflor zu Hause, und wenn Demoiselle Alceste – ich habe die Strophen eben überflogen – nicht als ihr eigener Herold auftreten, sich ankündigen und vielleicht auch verherrlichen soll, so bleibt dir nichts übrig, als den Prolog zu sprechen. Du hast ohnehin die Melpomenefigur. Aber ich glaube fast, du tust es ungern.«
»Nicht doch, ich mißtraue nur meinem Gedächtnis.«
»Oh! da schaffen wir Rat«, sagte Lewin. »Es sind noch zwei Stunden, bis wir aufbrechen; vor allem aber haben wir noch die Fahrt selbst; ich werde dir unterwegs die Strophen rezitieren, einmal, zweimal, und im Nachsprechen wirst du sie lernen. Die frische Luft erleichtert ohnehin das Memorieren.«
Kathinka war es zufrieden. So trennte man sich, da nicht nur die Tischglocke jeden Augenblick geläutet werden konnte, sondern auch das wenige, was außerdem noch an Zeit verblieb, zu Vorbereitungen nötig war, die sich für die Ladalinskischen Geschwister mehr noch auf ihre Abreise überhaupt als auf die Fahrt nach Guse bezogen. Sie hatten nämlich vor, wenn die Tante sie nicht festhielt, in derselben Nacht noch nach Berlin zurückzukehren.
Um vier Uhr hielt das Schlittengespann mit den Schneedecken und den roten Federbüschen, dasselbe, das am dritten Weihnachtsfeiertage Lewin und Renaten nach Guse hinübergeführt hatte, vor der Rampe des Hauses, und nach herzlichem Abschiede von Tante Schorlemmer, auch von Jeetze und Maline, die sich mit ihrem
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