Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
der Einwirkung von Sturm und Unwetter auf uns. Einige können bei Sturm nicht schlafen, andere aber schlafen dann am besten und wickeln sich mit einem ganz besonderen Behagen in ihre Decke.
Mein Vater, als wir vom Rathausplatze samt seinem seine Pfeife schmauchenden Aktuarius wieder nach Hause kamen, erzählte natürlich von meinem Entsetzen über das wieder bewohnte Haus. Alle lachten mich aus, besonders die Dienstleute, und die gute Schrödter sagte: »Das fehlte auch noch, daß solch Kerl wie Mohr arme Leute um ihre Miete bringt.« Ich mußte mir den Spott gefallen lassen, und mein Vater, der guten Schrödter zustimmend, sprach von Weichlichkeit und Schwäche. Trotzdem traf es sich so, daß dasselbe Jahr noch mir und meinem Angstgefühle zu einer Art Rechtfertigung verhalf, und zwar war es mein Papa selber, den die längst abgetane Geschichte sehr gegen seinen Willen doch wieder gepackt haben mußte.
Der November hatte mit einem richtigen Nordwester eingesetzt, und was nicht hinaus mußte, saß am warmen Ofen. Mein Vater aber, der sich sagen mochte, daß sein Schimmel, der überhaupt immer über sein Tun und Lassen entschied, schon seit einer halben Woche nicht aus dem Stall gekommen sei, setzte sich in den Sattel und ritt auf den Strand zu. Spätnachmittag war es stiller geworden, und die Mondsichel stand schon blaß zwischen zerrissenem Gewölk, als er, die Dünen passierend, plötzlich in unmittelbarste Nähe der Stelle kam, wo sie »Mohr und seine Frau« eingescharrt hatten. Und jetzt sah er auch dicht neben sich den kleinen Schlängelpfad, der auf die Stelle zuführte. Da mit einem Male wollte der Schimmel nicht weiter, bog nach rechts hin aus und prustete und schäumte so, daß es die größte Mühe kostete, an der Stelle vorbeizukommen. »Ich wette, der Schimmel hat gewußt, da liegt Mohr; oder er hatte wenigstens die Witterung.« Meine Mutter aber lachte: »Wenn sich doch alles so leicht erklären ließe. Du hast dich geängstigt, und als das Tier deine Angst merkte, da kam es auch in Angst. Ich glaube nicht an Spuk; aller eh ich glaube, daß sich dein Schimmel um Mohr und seine Frau kümmert, da glaub ich doch noch eher an den alten Geisler oben.«
Die Schlußworte waren scherzhaft gemeint; ich nahm sie aber sehr ernsthaft und hörte nur heraus, daß es mit dem alten Geisler doch auch etwas auf sich haben müsse. Trotzdem konnt ich nicht davon lassen, mich immer wieder an die Stelle zwischen Ofen und Schrank zu setzen, von der es hieß, da sei er gestorben.
Die Geschichte mit Mohr blieb für mich das große Stadtereignis, und nur einzelnes, bei dem die Elemente eine Rolle spielten, prägte sich mir mit ähnlicher Lebendigkeit ein. Ein paar Vorkommnisse der Art will ich erzählen.
Es war ein sehr heißer Sommer, ich glaube 29 oder 30, und soweit sichs ermöglichte, waren wir im Freien oder machten auch wohl Partien. Unter diesen war auch eine nach der Oberförsterei Pudagla, der, wie schon erwähnt, zu jener Zeit der Oberförster Schrödter, ein Bruder unserer Mamsell Schrödter, vorstand, ein vorzüglicher Herr, gütig, gewissenhaft, gastlich. Und eines Sonntags fuhren wir da hinaus: meine Mutter und ich und noch zwei jüngere Geschwister. Die Schrödter blieb zu Haus, ich weiß nicht weshalb, ebenso mein Vater, der nicht dabei sein konnte, weil er »Wache« hatte. »Wache haben« war ein terminus technicus und hieß soviel wie statt des Gehilfen, der seinen »freien Sonntag« hatte, das Geschäftliche persönlich übernehmen, also statt seiner auf »Wache zu ziehn«. Mein Vater fand dies immer etwas »inferior« für einen Mann von seinen Qualitäten, jedenfalls aber sehr langweilig, weshalb er nie unterließ, sich für die Nachmittags- und Abendstunden eine Spielpartie einzuladen. Da zu dieser, wenn irgend möglich, auch die beiden Doktoren der Stadt gehörten, so war er auf die Weise ziemlich sicher, vor Mixturenmischen und Ähnlichem bewahrt zu bleiben. Solche Einladung an zwei, drei Freunde war auch an dem hier zu schildernden Tage ergangen, wir aber fuhren in aller Frühe schon auf die Oberförsterei zu, denn es war ein weiter Weg, erst Ahlbeck, dann Heringsdorf, dann Gothen und zuletzt Pudagla selbst, das in einem weiten Bezirk kostbarer alter Buchen lag. Nach dem Strand hin, in einiger Entfernung, erhob sich der Streckelberg, der höchste Berg dieser Gegenden, zu dessen Füßen Vineta gelegen haben soll. Um zehn waren wir draußen, frühstückten und bewunderten zunächst ein
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