Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
das ist es nicht. Du hast bloß die grenzenlose Schwäche, deine Geschichten immer wieder anbringen zu wollen, und bist schlimmer als die schlimmsten Anekdotenerzähler, die, wenn man ihnen sagt: ›Kenn ich schon‹, sich nicht stören lassen und ruhig weitersprechen. Ist es nicht so? Hab ich nicht recht?«
»Ich glaube beinah, daß du recht hast. Aber was tut das? Ein jeder hat sein Steckenpferd, und wir wiederholen uns alle. Nimm mirs nicht übel, du wiederholst dich auch und betonst namentlich vieles …«
»Bitte, nichts davon.«
»Außerdem aber nehme ich bei diesen Dingen allen Ernstes das für mich in Anspruch, daß ich in einem fort beflissen bin, nützliche Kenntnisse zu verbreiten. Ich bin kein elender Witz- und Wortspieljäger, ich kultiviere Historisches und helfe nach, wo nachzuhelfen ist. Und du wirst nicht bestreiten, daß die Summe historischer Kenntnis, namentlich bei den Studierten, ungemein gering ist. Das mit Bertrand … nu ja, vielleicht hätt ich anders antworten sollen, denn sie wollten mich vor dir in Verlegenheit bringen Aber es ist ihnen nicht gelungen.«
»Leider nicht. Und das ist das Schlimmste von der Sache.«
Elftes Kapitel
Was wir in Haus und Stadt erlebten
Wie wir in unserem Hause lebten, das zu zeigen, war Aufgabe der beiden vorigen Kapitel; in diesem wird es sich um Dinge handeln, die, wenigstens zunächst, nicht durch unser Zutun geschahen, sondern, von außen her an uns herantretend, das von uns geführte häusliche Leben nur begleiteten, beziehungsweise modelten. »Was wir in Haus und Stadt erlebten«, habe ich drum als Überschrift genommen.
Es war des Guten und Nichtguten gerade genug.
Im allgemeinen gilt das zwischen dem Sturze Napoleons und dem Tode Friedrich Wilhelms III. liegende Vierteljahrhundert als eine ereignisarme Stagnationsepoche, was aufs Ganze hin angesehen auch mehr oder weniger zutreffen mag, gerade das halbe Jahrzehnt aber (1827 bis 32), das ich in Swinemünde verbrachte, brachte, die Stagnation unterbrechend, des Interessanten eine ganze Fülle: die Befreiung Griechenlands, den russisch-türkischen Krieg, die Eroberung von Algier, die Julirevolution, die Losreißung Belgiens von Holland und die große polnische Insurrektion. Ich werde denn auch weiterhin in einiger Ausführlichkeit zu berichten haben, wie diese fernen Ereignisse die Bewohnerschaft unseres Hauses berührten, vor allem aber mein eigenes junges Herz, das für solche Dinge von früh auf erglühte. Zunächst indessen laß ich die Staatsaktionen aus dem Spiel und erzähle von dem, was sich als Stadtereignis unter unseren Augen zutrug. Allerdings trifft es sich dabei so, daß ich, um der Chronologie willen, meine beste Karte gleich zuerst ausspielen muß. Es war dies die Geschichte von »Mohr und seiner Frau«.
Wer war Mohr?
Kutscher Ehm hatte gleich am Tage nach unserer Ankunft, als wir den ersten Umgang durch unser Haus machten, die Frage gestreift, war aber nicht weit damit gekommen, und erst etliche Wochen später, als ich von ungefähr wieder den Namen »Mohr« hörte, frug ich Ehm, was es damit sei. Dieser, der nur zu gerne davon sprach, nahm mich auch gleich mit in seine Kammer hinein, und während er sich da an die Häcksellade stellte und zu schneiden begann, saß ich auf einem Schemel neben ihm und hörte seiner Geschichte zu. »Ja«, so schloß er (natürlich alles in Plattdeutsch) nach einer Weile, »so war das mit Mohr und seiner Frau. Die sind nu beid in Prison, und die Frau is krank und verfallen und macht es woll nich lange mehr, er aber, er is oben auf, und der alte Pietzker drüben meint auch, ans Leben gingen sie ihm nich. Und das is auch richtig und is noch von Anno 6 her. Da war er Soldat in Regiment Möllendorf, und Napoleon, als es bei Jena nich recht weiter wollte, soll da ganz wütend gesagt haben: ›Wer is denn bloß der Kerl da? So was hab ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht gesehn.‹ Und unser König, als er wieder ein bißchen in Ruhe war, hat auch an Mohrn schreiben lassen, er könne sich eine Gnade ausbitten. Und die Gnade, die hängt noch, die is noch nich runter, und deshalb sagt Mohr immer: ›Sie können nich, auch wenn sie wollen; ich habe des Königs Gnade.‹«
Das klang soweit ganz gut, aber was diesen Schlußworten Ehms vorausging, also die eigentliche Geschichte, die klang schlimm, und es lief mir dabei kalt über den Rücken. Mohr war ein Mann von Mitte Vierzig, ein guter Lichterschiffer, der zwischen Stettin und
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