Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
findet sich wohl noch. Was meinst du, Marie?«
Und das Rot, das über ihre Wangen flog, überhob sie jeder anderen Antwort.
Nach diesem – es war wieder ein Sonnabend – gingen Lewin und Hirschfeldt in die Pfarre, um von Seidentopf Abschied zu nehmen. Sie fanden ihn über Bekmann, und nicht bloß die Schranktüre seines Arcus triumphalis stand weit offen, sondern auch das Mittelbrett war vorgezogen, auf dem die drei Hauptstücke der Sammlung ihren Platz hatten und seit dem zweiten Weihnachtstage auch der Wagen Odins. Wer die Seidentopfsche Wocheneinteilung kannte, konnte durch diesen Anblick nicht überrascht werden. Er gehörte nämlich zu den klugen Predigern, die schon freitags mit ihrer Predigt abschließen, um dann den zwischenliegenden Tag zur Erfrischung ihrer Seele verwenden zu können. Und was hätte sich besser dazu geschickt, als die Ultima ratio Semnonum! Eine Störung bei diesem Erfrischungsprozesse galt denn auch im allgemeinen als unstatthaft, aber heute, wo Lewin und Hirschfeldt kamen, um ihm Lebewohl zu sagen, konnte von einer solchen Störung nicht wohl die Rede sein. Um neun Uhr früh, so hieß es im Laufe des Gespräches, gedächten sie nach Frankfurt hin aufzubrechen, um daselbst in der Mittagsstunde schon mit Berliner Freunden zusammenzutreffen. Es wurde dies alles nur leicht hingeworfen, Seidentopf aber verstand sehr wohl, daß mit Hilfe dieser genauen Zeitangaben nur ihr Nichterscheinen in der Kirche entschuldigt werden sollte. Es verdroß ihn ein wenig, hatte er doch die Empfindlichkeit aller Pastoren; aber sich schnell wieder fassend, gab er seinen Wünschen für Lewin einen allerherzlichsten Ausdruck. Dann wandte er sich zu dem Rittmeister, um von den »zurückliegenden, gemeinschaftlich durchlebten Tagen« zu sprechen.
»Es waren stürmische Tage«, so schloß er.
»Und doch Tage vor dem Sturm! « antwortete Hirschfeldt.
Und nun war es neun Uhr früh. Hektor hatte sich mühsam bis an die Sandsteinstufen geschleppt, und zum letztenmal in diesem Buche fuhren die Ponies vor. Ihre Schellen klangen hell, und an Krists altem Hut mit der alten Kokarde flatterte heut ein langes grünes Band. Seine Frau hatte rot nehmen wollen, aber er hatte auf grün bestanden.
Und nun nichts mehr von Abschied.
Über den Forstacker hin flog der Schlitten, in dem Lewin und Hirschfeldt saßen, an Hoppenmariekens Häuschen vorbei, und als sie gleich darauf wieder hügelab und am Flußufer hinfuhren, rollte plötzlich ein Ton wie dumpfer Donner herauf und verhallte in weiter Ferne.
»Das Eis birst«, sagte Hirschfeldt. »Ein gutes Zeichen, unter dem wir ausziehen.«
Und in demselben Augenblicke begannen auch die Hohen-Vietzer Glocken zu klingen, und beide Freunde wandten sich unwillkürlich noch einmal zurück.
»Was bedeutet uns ihr Klang?« fragte Lewin.
»Eine Welt von Dingen: Krieg und Frieden und zuletzt auch Hochzeit; Hochzeit, der glücklichsten eine, und ich, ich bin mit unter den Gästen.«
»Sie sprechen, Hirschfeldt, als ob Sie’s wüßten«, antwortete Lewin bewegten Herzens.
»Ja, Vitzewitz, ich weiß es, ich seh’ in die Zukunft.«
An demselben Sonntagnachmittag saßen auch die Frauen in dem Eckzimmer, darin wir ihnen so oft begegnet. Ihre Tränen waren getrocknet, die Schorlemmer hatte sich mit einem Kraftspruch über Abschied und Rührung hinweggeholfen, und nur an Mariens langen schwarzen Wimpern hingen noch einzelne Tropfen.
Renate küßte sie und sagte: »Laß, Marie, denn du mußt wissen, ich glaube an dreierlei.«
»Das tun alle vernünftigen Menschen«, sagte die Schorlemmer. »Das heißt alle Christen.«
»Und zwar glaub’ ich«, fuhr Renate fort, »erstens an den Hundertjährigen Kalender, zweitens an Feuerbesprechen und drittens an Sprüchwörter und Volksreime. Und weißt du, an welchen ich am meisten glaube?«
»Nun?«
»Und eine Prinzessin kommt ins Haus.«
Marie lächelte.
Die Schorlemmer aber sagte: »Torheit, ich will euch einen bessern Spruch sagen.«
»Und?«
»Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.«
Achtun
dzwanzigstes Kapitel
Aus Renatens Tagebuch
Erzählungen schließen mit Verlobung oder Hochzeit. Aber ein Tagebuch, das sich bis auf diesen Tag im Hohen-Vietzer Herrenhause vorfindet und als ein teures Vermächtnis daselbst gehütet wird, gönnt uns noch einen Blick in die weitere Zukunft. Es sind Blätter von Renatens Hand, und aus ihnen ist es, daß ich das Folgende entnehme.
»Lewin ist zurück.
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