Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
glühenden Kohlen und dann wieder auf Christel, die das wenige, was aufgeschrieben war, in die Tasche tat und immer leise vor sich hinsprach und weinte. Und nun war alles hinein, und sie drückte den Bügel ins Schloß und stellte die Tasche vor Melanie nieder.
So verging eine Weile. Keiner sprach. Endlich aber trat Christel von hinten her an ihre junge Herrin heran und sagte: »Jott, liebe, jnädige Frau, muß es denn… Bleiben Sie doch. Ich bin ja bloß solche alte, dumme Person. Aber die Dummen sind oft gar nicht so dumm. Und ich sag’ Ihnen, meine liebe Jnädigste, Sie jlauben jar nich, woran sich der Mensch alles jewöhnen kann. Jott, der Mensch jewöhnt sich an alles. Und wenn man reich ist und hat so viel, da kann man auch viel aushalten. Un vor mir wollt’ ich woll einstehn. Un wie jeht es denn? Un wie leben denn die Menschen? In jedes Haus is ‘n Gespenst, sagen sie jetzt, un das is so’ne neumodsche Redensart! Aber wahr is es. Und in manches Haus sind zweie, un rumoren, daß man’s bei hellen, lichten Dage hören kann. Un so war es auch bei Vernezobres. Ich bin ja nu fufzig, und dreiundzwanzig hier. Und sieben vorher bei Vernezobres. Un war auch Kommerzienrat un alles ebenso. Das heißt, beinah.«
»Und wie war es denn?« lächelte Melanie.
»Jott, wie war es? Wie’s immer is. Sie war dreißig, un er war fufzig. Un sie war sehr hübsch. Drall und blond, sagten die Leute. Na, un er? Ich will jar nich sagen, was die Leute von ihm alles gesagt haben. Aber viel Jutes war es nich… Un natürlich, da war ja denn auch ein Baumeister, das heißt eigentlich kein richtiger Baumeister, bloß einer, der immer Brücken baut vor Eisenbahnen un so, un immer mit ‘n Gitter un schräge Löcher, wo man durchkucken kann. Un der war ja nu da un wie ‘n Wiesel, un immer mit ins Konzert un nach Saatwinkel oder Pichelsberg, un immer ‘s Jackett übern Arm, un Fächer un Sonnenschirm, un immer Erdbeeren gesucht un immer verirrt un nie da, wenn die Herrschaften wieder nach Hause wollten. Un unser Herr, der ängstigte sich un dacht’ immer, es wäre was passiert. Un was die andern waren, na, die tuschelten.«
»Und trennten sie sich? Oder blieben sie zusammen? Ich meine die Vernezobres«, fragte Melanie, die mit halber Aufmerksamkeit zugehört hatte.
»Natürlich blieben sie. Mal hört’ ich, weil ich nebenan war, daß er sagte: ›Hulda, das geht nicht.‹ Denn sie hieß wirklich Hulda. Und er wollt’ ihr Vorwürfe machen. Aber da kam er ihr jrade recht. Un sie drehte den Spieß um un sagte: ›was er nur wolle? Sie wolle fort. Un sie liebe ihn, das heißt den andern, un ihn liebe sie nicht. Un sie dächte gar nicht dran, ihn zu lieben. Und es wär’ eijentlich bloß zum Lachen.‹ Und so ging es weiter, und sie lachte wirklich. Un ich sag’ Ihnen, da wurd’ er wie ‘n Ohrwurm und sagte bloß: ›sie sollte sich’s doch überlegen.‹ Un so kam es denn auch, un als Ende Mai war, da kam ja der Vernezobresche Doktor, so ‘n richtiger, der alles janz genau wußte, der sagte, ›sie müßte nach ‘s Bad‹, wovon ich aber den Namen immer vergesse, weil da der Wellenschlag am stärksten ist. Un das war ja nu damals, als sie jrade die große Hängebrücke bauten, un die Leute sagten, er könnt’ es alles am besten ausrechnen. Un was unser Kommerzienrat war, der kam immer bloß sonnabends. Un die Woche hatte sie frei. Un als Ende August war, oder so, da kam sie wieder un war ganz frisch un munter un hatte or’ntlich rote Backen un kajolierte ihn. Und von ihm war gar keine Rede mehr.«
Melanie hatte, während Christel sprach, ein paar Holzscheite auf die Kohlen geworfen, so daß es wieder prasselte, und sagte: »Du meinst es gut. Aber so geht es nicht. Ich bin doch anders. Und wenn ich’s nicht bin, so bild’ ich es mir wenigstens ein.«
»Jott«, sagte Christel, »en bißchen anders is es immer. Un sie war auch bloß von Neu-Cölln ans Wasser, un die Singuhr immer jrade gegenüber. Aber die war nich schuld mit ›Üb immer Treu und Redlichkeit‹.«
»Ach, meine gute Christel, Treu und Redlichkeit! Danach drängt es jeden, jeden, der nicht ganz schlecht ist. Aber weißt du, man kann auch treu sein, wenn man untreu ist. Treuer als in der Treue.«
»Jott, liebe gnädigste, sagen Se doch so was nich. Ich versteh’ es eigentlich nich. Un das muß ich Ihnen sagen, wenn einer so was sagt, un ich versteh’ es nicht, denn is es immer schlimm. Un Sie sagen, Sie sind anders. Ja, das is schon richtig, un wenn es
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