Australien 01 - Wo der Wind singt
Kapitel 1
K ate Webster hing mit dem Kopf nach unten an der großen Wäschespinne im Garten ihres gemieteten Hauses in Orange. Sie spürte, wie das Blut in ihren Schläfen pochte und die Metallstangen der Wäschespinne in ihre Kniekehlen einschnitten. Ihr langes, schwarzes Haar streifte den trockenen, ungepflegten Rasen, während sie langsam vor- und zurückschaukelte. Aus den grünen Gärten der Nachbarschaft trieb der Geruch nach Abendessen über den Zaun in ihren eigenen, kahlen Vorstadtgarten. Kate reckte eine protzige Trophäe in Form eines Schafs zum staubig rosafarbenen Himmel empor. Goldenes Plastik schimmerte im Abendlicht.
»Ju-huu! Der Sieg schmeckt süß!«, brüllte sie. Mit der anderen Hand hob sie eine kleine braune Bierflasche vom Boden auf und stieß mit dem Burschen an, der neben ihr hing. Er sieht süß aus, dachte Kate. Selbst verkehrt herum und mit dem blauen Band für den ersten Platz, das er sich als große Schleife um den Kopf gebunden hatte, so dass er aussah wie eine Kewpie-Puppe. Mann o Mann, dachte sie, als der Alkohol allmählich ihre Sinne benebelte. Habe ich den auch gewonnen? Wie hieß er doch gleich?
Kate ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Eigentlich hätte sie heute arbeiten sollen. In ihrem formlosen, marineblauen Poloshirt mit dem Logo des Landwirtschaftsministeriums auf der rechten Brust, hätte sie den Farmern, die den Landwirtschaftstag in Orange besuchten, nützliche und seriöse Ratschläge geben sollen.
Obwohl dies ihr erster Landwirtschaftstag war, hatte sie die Farmer sofort für sich eingenommen. Das lag nicht nur an ihrem jungen und hübschen Gesicht, sondern auch an ihrer Bodenständigkeit, an der Tatsache, dass sie schon auf den ersten Blick als eine der ihren zu erkennen war; an der Art, wie sie, die Arme vor der Brust verschränkt, mit der Spitze ihres schmutzigen Stiefels lässig im Dreck stocherte, so
als würde sie die Bodenqualität und den Bewuchs einer Weide prüfen. Wie sie Schulter an Schulter mit den Männern stand, während sie redete. Obwohl sie noch unerfahren war, war Kate schnell klar, dass sie diesen Job mit links erledigen würde.
Also hatte sie schon kurz nach dem Mittagessen den Stand des Ministeriums verlassen und sich für einen Wettbewerb im Schafezählen eingetragen. Sie genoss es sehr, bei den Schafen in den staubigen Pferchen zu stehen. Als sie an die Reihe kam, überlegte sie zunächst, in welche Richtung die Schafe fliehen könnten, und versuchte dann einzuschätzen, wie nervös die Tiere waren. Nachdem sie sich ein Bild gemacht hatte, öffnete sie das Gatter ein kleines Stück, und als das Leitschaf an ihr vorbeischoss, hob sie die Hand und begann zu zählen. Genau so wie sie das zu Hause auf der Farm immer gemacht hatte. Sie zählte die Hammel mit raschen, schnalzenden Handbewegungen, fixierte sie dabei aufmerksamen mit ihren dunklen Augen. Drei. Sechs. Neun. Die Schafe galoppierten vorbei, wirbelten mit ihren spitzen, muschelförmigen Hufen Staub auf. Als Kate bei hundert angekommen war, schob sie ihren Zeigefinger in die Tasche ihrer ausgewaschenen Jeans. Bei zweihundert steckte sie einen weiteren Finger in die Tasche. Die andere Hand hielt sie über die Herde, die durch das Gatter stürmte. Die Tiere weiter hinten begannen zu schieben und zu drängen, Kate machte deshalb instinktiv ein paar Schritte auf sie zu, um das Tempo zu verlangsamen und den gleichmäßigen Fluss wiederherzustellen.
Dann war sie wieder im Rhythmus: 294, 297, 300. Wieder einen Finger in die Tasche, schließlich rannten die letzten sechs Schafe an ihr vorbei. Das letzte Tier scheute, bevor sie das Gatter schloss. Sie drehte sich zu dem schlaksigen Richter um und nannte ihm ihr Ergebnis. Die Zuschauer, die schon während des Zählens vereinzelt Beifall geklatscht hatten, sahen noch dabei zu, wie das energische Mädchen, eine gut gebaute Schönheit vom Lande, über den Zaun flankte, dann wandten sie ihre Aufmerksamkeit dem nächsten Teilnehmer zu.
Nach dem Wettbewerb steuerte Kate, ihre Trophäe und das blaue Band in der Hand, schnurstracks auf die behelfsmäßige Bar zu, die unter einem rostigen Wellblechdach aufgebaut war. Sie wusste, dass
sie eigentlich zum Stand des Ministeriums zurückgehen und ihren Kollegen beim Abbauen helfen sollte. Aber ein Bier zur Feier des Tages konnte schließlich nicht schaden, oder?
An der Bar spülte Kate den Staub in ihrer Kehle mit einem großen Schluck eiskalten Bieres hinunter. Ausstellungsbesucher, die sich auf den
Weitere Kostenlose Bücher