Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
noch ehe sie jemals Knaben gewesen waren, eilen paarweise in ihren besten, sorgfältig gebürsteten Röcken und den weißen, reichlich mit Staub und Tinte beschmutzten Beinkleidern vom vorigen Sonntag dahin. Es kostet sie offenbar beträchtliche innere Kämpfe, es sich zu versagen, für einen Teil von dem zum Mittagessen bestimmten Kapital ein paar von den gestrigen, an den Türen des Konditors in staubigen Zinnbüchsen so lockend ausgestellten Törtchen zu erstehen; doch sie erinnern sich ihrer Würde und Wichtigkeit bei einer Einnahme von sieben Schillingen wöchentlich mit der Aussicht einer baldigen Erhöhung auf acht, geben das Beispiel der Selbstbeherrschung, drücken die Hüte ein wenig mehr auf die Seite und sehen allen jungen Putzmacherinnen und Näherinnen, denen sie begegnen, unter die ihrigen. Arme Mädchen! Sie bilden die Klasse, die sich am sauersten mühen muß, am schlechtesten bezahlt und nur zu oft am schlechtesten behandelt wird.
Elf Uhr: und Scharen ganz anderer Leute füllen die Straßen. Die Verkaufsgegenstände hinter den Ladenfenstern sind verlockend angeordnet; die »jungen Leute« mit ihren weißen Halstüchern und in ihren sauberen Röcken sehen aus, als wenn sie kein Fenster putzen könnten, und wenn es um ihr Leben ginge; die Karren sind von Covent- Garden verschwunden; die Fuhrleute und Obsthändler sind in ihre vorstädtischen Bezirke zurückgekehrt; die Schreiber befinden sich in ihren Büros, und Gigs (leichte zweirädrige Wagen), Cabs, Omnibusse und Reitpferde führen ihre Prinzipale derselben Bestimmung zu. Überall in den Straßen ist Gedränge Geputzter und Schäbiger, Reicher und Armer, Fauler und Fleißiger, und die Hitze, das Getümmel und die betriebsame, rührige Tätigkeit des Mittags haben begonnen.
Doch will man die Straßen Londons in ihrem höchsten Glänze erblicken, so muß man sie an einem finstern und trüben Winterabend sehen, wenn sich gerade genug Feuchtigkeit niedersenkt, daß das Pflaster schlüpfrig, aber nicht im mindesten sauberer wird, und wenn der schwere, träge Nebel, der alles umflort, bewirkt, daß die Gaslichter heller strahlen und die glänzend erleuchteten Läden infolge des Kontrastes mit der Dunkelheit umher sich noch prachtvoller als gewöhnlich anschauen lassen. Wer an einem solchen Abend daheim ist, sucht es sich so gemütlich und bequem wie möglich zu machen, und die Leute in den Straßen haben guten Grund, die Glücklichen zu beneiden, die an ihren wärmenden Kaminen sitzen.
In den größeren Straßen besserer Wohnviertel sind die Fenstervorhänge der Wohnzimmer dicht zugezogen, lodern helle Küchenfeuer und schmeicheln Düfte von heißen Gerichten den Geruchsnerven des hungrigen, an den Hausgittern sich mühsam vorüberarbeitenden Wanderers. In den Vorstädten klingelt der Semmelbursche in der kleinen Straße weit langsamer hinunter, als er es gewohnt ist, denn kaum hat Mrs. Macklin in Nr. 4 ihre kleine Haustür geöffnet und aus allen Kräften »Semmeln« gerufen, als auch schon Mrs. Walker in Nr. 5 ihre Fenster geöffnet und denselben Ruf ertönen läßt; und er ist ihren Lippen noch nicht entflohen, als Mrs. Peplow gegenüber Master Peplow losläßt, der mit einer Schnelligkeit, zu der ihn nur die Aussicht auf Semmeln mit Butter antreiben kann, auf die Straße hinunterschießt und den Burschen gewaltsam zurückschleppt, worauf Mrs. Macklin und Mrs. Walker, um dem letzteren einige Schritte zu ersparen und zugleich ein paar freundnachbarliche Worte mit Mrs. Peplow zu wechseln, hinüberlaufen und ihre Semmeln vor Mrs. Peplows Haustür kaufen, wo denn aus Mrs. Walkers freiwilligem Bericht hervorgeht, daß ihr Kessel eben am Sieden sei und das Teegeschirr bereitstehe und daß sie, da es draußen ein so erbärmlicher Abend, beschlossen habe, ein behagliches heißes Schälchen Tee zu trinken – ein Beschluß, der infolge eines merkwürdigen Zusammentreffens von den anderen beiden Damen gleichzeitig gefaßt worden ist. Nach einer Unterhaltung über die Abscheulichkeit des Wetters und die Vorzüge des Tees, nebst einer Abschweifung über die Bosheit der Knaben als Regel und die Liebenswürdigkeit Mr. Peplows als Ausnahme, sieht Mrs. Walker ihren Mann die Straße herunterkommen. Und da der Arme nach seiner großer Wanderung von den Schiffsdocks her seinen Tee sehr notwendig haben muß, läuft sie augenblicklich mit ihren Semmeln in der Hand hinüber. Mrs. Macklin folgt ihrem Beispiel, und alle eilen in ihre kleinen Häuser zurück und schlagen
Weitere Kostenlose Bücher