Die Beschleunigung der Angst
Kapitel 1
»Daniel, komm schnell! Das
musst du dir reinziehen!«
Thomas hatte den Kopf durch die
Fliegengitterstreifen geschoben, die Daniels Wohnung vor Ungeziefer aller Art
schützen sollten, und lachte. Die beschwerten Enden des Gitters klackten am
unteren Rahmen der Verandatür. Er zog seinen Kopf aus der Wohnung und lief
zurück zur Balustrade des Balkons, wo er mit einer zusammengerollten Zeitung in
Richtung Straße gestikulierte.
Daniel balancierte ein
Tablett durch das Wohnzimmer, das er mit zwei Flaschen Bier, zwei Gläsern,
einer prall gefüllten Schüssel Chips sowie einer Dose Erdnüsse im Teigmantel
beladen hatte. Er stellte das Servierbrett auf dem Fernsehtisch ab und wandte
sich zur Balkontür.
Halt!
Die Naschsachen konnten hier
warten, aber so wichtig konnte das, was sein Freund ihm zu zeigen hatte, nicht
sein, als dass er das Bier hätte stehen lassen. Er trat hinaus auf den Balkon
und blinzelte, als er den abgedunkelten Wohnbereich verließ. Auch wenn die
Augustsonne dabei war, hinter dem Feldberg zu verschwinden, besaß sie Kraft.
»Was ist?«, fragte er,
reichte Thomas eine Flasche Pils - immer Pils, nie Export - und lehnte sich mit
den Ellenbogen auf das Balkongeländer. »Die Vorberichterstattung fängt gleich
an.«
Er selbst füllte sein Glas
mit Weizenbier - immer Weizenbier, nie Pils - und fluchte, als er einen Teil
der Flüssigkeit über sein weißes Poloshirt verteilte. Aber egal. Dann roch er
eben nach Bier. Es war ja nicht so, als erwartete er heute Abend noch
Damenbesuch. Oder nächsten Monat.
Sein Freund grinste noch
immer, als er über das Geländer deutete und auf einen Geländewagen zeigte, der
drei Stockwerke tiefer mit laufendem Motor auf dem Bürgersteig parkte.
»Schau dir das an«, sagte
er.
Thomas trug sein übliches
T-Shirt mit Comicheldenmotiv und karierte Stoffhosen. Einer der Gründe, warum
Daniel seinen Freund so sehr mochte, war der, dass er neben Thomas richtig gut
angezogen wirkte, und das, obwohl er kaum je einen zweiten Gedanken an seine
Kleidung verschwendete.
Daniel warf einen Blick auf
den unter ihm parkenden Wagen.
»Wow, ein Auto«, sagte er.
»So was habe ich noch nie gesehen. Was willst du mir noch zeigen? Ein Fahrrad?
Oder, Gott bewahre, ein echtes Motorrad? Das wäre toll!«
»Deinen Sarkasmus kannst du
behalten«, sagte Thomas. »Du solltest besser hinsehen, bevor du einen auf
weltgewandt machst.«
Daniel nahm das silberne
Auto genauer unter die Lupe. Es hatte ein einheimisches Kennzeichen, Alufelgen
und vier Türen plus Heckklappe. Er konnte an dem Wagen nichts ausmachen, was
ihn von Millionen anderer unterschied. Doch, Moment. Daniel kniff die Augen
zusammen, was seine Brauen aussehen ließ, als seien sie zusammengewachsen, und
sah durch das getönte Schiebedach des Autos.
Er konnte kaum glauben, was
er sah. Angewidert blickte er zu Thomas, seine blauen Augen voller Ekel.
»Das gibt‘s doch nicht«,
sagte er. »Sag mir bitte, dass der Typ da drin sich keinen runterholt.«
Thomas nickte. Sein Lächeln
würde operativ entfernt werden müssen, wenn er es irgendwann in ferner Zukunft
nicht mehr benötigte. Seine durch gefärbte Kontaktlinsen unnatürlich grünen
Augen lachten mit.
»Doch, genau das tut er.«
Daniel schüttelte den Kopf.
»Was für ein Mensch macht
sowas?«
Thomas legte die Stirn in
Falten, wie er es so gerne tat, ohne sein Grinsen auch nur einen Deut
zurückzunehmen.
»Ich würde sagen, wir haben
es hier mit einem klassischen Fall von Wichser zu tun.«
»Das glaube ich einfach
nicht. Das ist krank. Törnt es den Spinner derart an, Auto zu fahren?«
Thomas streckte den Arm aus
und deutete mit der Zeitung ein Stück die Straße entlang. Sie führte zum
außerhalb der Stadt liegenden Freibad, in dem heute Abend eine Liveband spielen
sollte. Die beiden Freunde hatten überlegt, dort hinzugehen, sich jedoch für
das Fußballspiel entschieden. Wahrscheinlich waren dort sowieso nur Teenies.
Daniel hatte den sich aufdrängenden Gedanken von sich geschoben, ob es an seinem
Alter lag, ein Freundschaftsspiel der Nationalmannschaft einer Party mit
Livemusik den Vorzug zu geben. Darüber dachte er schon genug nach, wenn er
morgens vor dem Spiegel stand und versuchte, seinen zurückweichenden Haaransatz
durch kreatives Frisieren zu verdecken.
Ebenso versuchte er die
Tatsache zu verdrängen, dass er dieses Jahr noch die dreißig vollmachen würde.
Als würde er die Zeit damit aufhalten können, wenn er sich weigerte, an sie
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