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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Knaben, und er hängt sehr an mir. Er ist von Natur ein mißtrauischer Junge, und in einer Menschenmenge ist er bald überrannt, wie ich mich ausdrücken darf, und vergessen. Doch vertragen wir beide uns ganz vorzüglich, und es kommt mir so vor, als ob der arme Junge eines Tages meine besondere Stellung in der Familie erben würde. Wir sprechen nur wenig miteinander, und doch verstehen wir uns. Wir gehen Hand in Hand spazieren, und ohne daß wir viel sprechen, weiß er, was ich meine, und weiß ich, was er meint. Als er noch ganz klein war, pflegte ich ihn an die Schaufenster der Spielzeugläden zu führen und ihm die ausgestellten Spielsachen zu zeigen. Dabei fand er überraschend schnell heraus, daß ich ihm eine Menge Geschenke gemacht hätte, wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre.
    Der kleine Frank und ich gehen zum Monument zum Andenken an die große Londoner Feuersbrunst von 1666 spazieren und sehen es uns von außen an – er liebt das Monument sehr –, und wir gehen zu den Brücken und zu allen Sehenswürdigkeiten, die keinen Eintritt kosten. Zweimal haben wir an meinem Geburtstag gespickten Rinderbraten diniert und sind dann zum halben Preis ins Theater gegangen, wo wir mit tiefstem Interesse zugehört haben. Einst ging ich mit ihm in der Lombard Street, die wir oft aufsuchen, weil ihm meine Erzählung, daß es dort große Reichtümer gibt, diese Straße sehr lieb gemacht hat, als ein Gentleman im Vorübergehen zu mir sagte: »Sir, Ihr kleiner Sohn hat seinen Handschuh fallen lassen.« Ich versichere euch, wenn ihr mein Verweilen bei einem so trivialen Umstand entschuldigen wollt, daß diese zufällige Erwähnung, dieses Kind sei mein eigenes, an mein Herz griff, und mir närrische Tränen in die Augen trieb.
    Wenn der kleine Frank aufs Land in die Schule geschickt wird, werde ich in großer Verlegenheit sein, was ich mit mir anfangen soll. Aber ich habe die Absicht, einmal im Monat zu Fuß dorthin zu gehen und ihn an einem freien Nachmittag zu besuchen. Man sagt mir, er wird dann auf der Heide beim Spiel sein; und wenn meine Besuche unwillkommen sein sollten, weil sie den Knaben aufregen, so kann ich ihn aus der Ferne sehen, ohne daß er mich sieht, und dann wieder zurückwandern. Seine Mutter stammt aus einer hochvornehmen Familie, und ich weiß wohl, daß es ihr nicht besonders angenehm ist, wenn wir zuviel zusammen sind. Freilich bin ich wenig dazu geeignet, auf seinen schüchternen Charakter günstig einzuwirken; aber ich glaube, er würde mich über den Augenblick hinaus vermissen, wenn wir gänzlich getrennt würden.
    Wenn ich in der Clapham Road sterbe, werde ich nicht viel mehr auf dieser Welt hinterlassen, als ich aus ihr hinwegnehmen werde. Aber ich besitze das Miniaturbild eines Knaben mit fröhlichem Gesicht und lockigem Haar, der am Hals einen offnen Hemdkragen trägt. Meine Mutter hat es für mich anfertigen lassen, aber ich kann nicht glauben, daß es jemals ähnlich war. Dieses wird beim Verkauf nichts einbringen, und ich werde darum bitten, daß es Frank gegeben wird. Ich habe meinem lieben Jungen einen kleinen Brief dazu geschrieben und ihm darin gesagt, daß es mir sehr leid täte, von ihm zu scheiden; aber andererseits wüßte ich auch keinen rechten Grund, warum ich hierbleiben sollte. Ich habe ihm in kurzen Worten den Rat gegeben – den besten, den ich ihm geben konnte –, sich ein warnendes Beispiel daran zu nehmen, welche Folgen es hätte, wenn man niemandes Feind wäre als sein eigener. Ich habe mich auch bemüht, ihn zu trösten wegen dessen, was er, wie ich fürchte, als einen Verlust ansehen wird. Ich habe ihm vorgehalten, daß ich für jeden außer ihm nur ein überflüssiger Mensch war; daß es mir irgendwie mißlungen sei, einen Platz in dieser großen Gesellschaft zu finden, und daß es deshalb besser sei, wenn ich sie verließe.
    Dies (sagte der arme Verwandte, indem er sich räusperte und die Stimme ein wenig erhob) ist die allgemeine Ansicht über mich. Nun ist es aber ein bemerkenswerter Umstand – und das ist Zweck und Ziel meiner Geschichte –, daß das alles verkehrt ist. Das ist nicht mein Leben und das sind nicht meine Gewohnheiten. Ich wohne nicht einmal in der Clapham Road. Ich bin verhältnismäßig sehr selten dort. Ich wohne meistens in einem – ich schäme mich fast, das Wort auszusprechen, es klingt so anspruchsvoll – in einem Schloß. Ich will damit nicht sagen, daß es ein alter freiherrlicher Wohnsitz ist, aber es ist doch ein Gebäude, das jedem

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