Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Gesicht, und als er dessen unbewegliche Züge bemerkte, notierte er sofort die Tatsache.
»Und wie lange lassen Sie es hintereinander arbeiten?« fragte Herr Pickwick weiter.
»Zwei oder drei Wochen«, entgegnete der Mann.
»Wochen?« sagte Herr Pickwick erstaunt und griff wieder nach seinem Briefblock.
»Es hat seinen Stall in Pentonville,« bemerkte der Kutscher kaltblütig, »aber ich nehme es selten mit heim, wegen seiner Schwäche.«
»Wegen seiner Schwäche?« wiederholte der verblüffte Herr Pickwick.
»Es stürzt immer, wenn es aus der Droschke genommen wird,« fuhr der Kutscher fort; »aber eingespannt zieht man es dicht an und hält es kurz im Zügel, daß es nicht leicht fallen kann. Auch haben wir ein paar köstliche breite Räder; wenn sich der Gaul rührt, so laufen sie ihm nach – und vorwärts muß er, er mag wollen oder nicht.«
Herr Pickwick verzeichnete jedes Wort dieser Angabe in seinem Taschcnbuche, da er im Sinn hatte, die Tatsache als ein merkwürdiges Beispiel von der Zähigkeit der Pferde, selbst unter den kümmerlichsten Verhältnissen, dem Klub mitzuteilen. Er war indes kaum mit seinem Geschäfte fertig geworden, als sie in Golden Croß anlangten. Der Kutscher sprang herunter und half Herrn Pickwick heraus, worauf sich Herr Tupman, Herr Snodgraß und Herr Winkle, die ihren vortrefflichen Führer schon lange mit Sehnsucht erwarteten, alsbald um ihn drängten, um ihn zu bewillkommnen.
»Da ist Euer Fuhrlohn«, sagte Herr Pickwick, dem Kutscher den Schilling darreichend.
Aber wer beschreibt das Erstaunen des gelehrten Mannes, als dieser rätselhafte Mensch das Geld auf das Straßenpflaster warf, und in handgreiflichen Ausdrücken um das Vergnügen bat, sich mit Herrn Pickwick boxen zu dürfen.
»Seid Ihr toll?« fragte Herr Snodgraß.
»Oder betrunken?« meinte Herr Winkle.
»Oder beides zusammen?« sagte Herr Tupman.
»Heran!« rief der Droschkenlenker, indem er mit den Fäusten in der Luft herumfuchtelte. »Heran – mit euch allen Vieren.«
»Da gibt’s einen Jux!« schrie ein halbes Dutzend Mietkutscher. »Ans Werk, Sam« – und sie drängten sich mit lustigen Gesichtern im Kreise um die Gesellschaft.
»Was hast du denn, Sam?« fragte ein Herr in schwarzen Kattunärmeln.
»Was ich habe?« fragte der Droschkenlenker. »Wozu braucht er meine Nummer?«
»Ich wollte eure Nummer nicht«, entgegnete der bestürzte Herr Pickwick.
»Warum haben Sie sie denn in Ihr Buch hineingeschrieben?« fragte der Kutscher.
»Das tat ich nicht«, antwortete Herr Pickwick unwillig.
»Sollte es wohl jemand glauben«, fuhr der Kutscher, sich an die Menge wendend, fort, »sollte es wohl jemand glauben, daß mir da ein Spion in die Droschke steigt, der nicht nur meine Nummer, sondern auch noch obendrein jedes Wort, das ich gesagt habe, aufschreibt?«
Jetzt ging Herrn Pickwick ein Licht auf – der Mann meinte nämlich seinen Briefblock.
»Wie – tat er das?« fragte ein anderer Kutscher.
»Ja, das tat er,« versetzte der Droschkenmann – »und um mir besser zu Leibe gehen zu können, bestellt er da auch noch drei Zeugen, um ihn zu unterstützen. Aber ich will’s ihm geben, und wenn ich sechs Monate dafür ins Loch muß. Kommt her« – der Kutscher warf dabei, mit beispielloser Rücksichtslosigkeit für sein Eigentum, seinen Hut auf die Erde, schlug Herrn Pickwick die Brille aus dem Gesichte, und ließ diesem Angriff unmittelbar einen Schlag auf Herrn Pickwicks Nase und einen weiteren auf dessen Brust folgen. Ein dritter traf Herrn Snodgraß’ Auge, und ein vierter zur Abwechslung Herrn Tupmans Weste. Dann tanzte der Mann in der Straße herum, kam wieder auf den Fußsteig zurück und versetzte Herrn Winkle einen so kräftigen Puff vor den Bauch, daß demselben augenblicklich der Atem verging, ein Manöver, das im ganzen kaum mehr als sechs Sekunden dauerte.
»Wo ist die Polizei?« rief Herr Snodgraß.
»Bringt sie unter die Brunnenpumpe«, meinte ein Pastetenverkäufer.
»Ihr sollt mir’« entgelten!« keuchte Herr Pickwick.
»Spione!« brüllte die Menge.
»Kommt her!« rief der Droschkenlenker, der die ganze Zeit über seine Boxergeberden ohne Unterlaß fortgesetzt hatte.
Die Anwesenden waren bisher nur passive Zuschauer des Auftritts gewesen. Sobald sich aber die Kunde verbreitete, die Pickwickier wären Spione, so wurden mit großer Lebhaftigkeit Stimmen über die Zweckmäßigkeit des von dem Pastetenverkäufer gemachten Vorschlags gesammelt: und es ist ungewiß, wie weit die
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