Weißer Schatten
[ Menü ]
|5| TEIL 1
|7| 1
Ich schwang den Vorschlaghammer im langsamen Rhythmus. Es war Dienstag, der 25. Dezember, kurz nach Mittag. Die Mauer war
dick und von einer ungeheueren, widerspenstigen Härte. Nach jedem dumpfen Schlag brachen Ziegel- und Zementsplitter heraus
und schossen wie Schrapnells über den Dielenboden. Ich spürte den Schweiß durch den Staub auf meinem Gesicht auf meinen Oberkörper
rinnen. Es war heiß wie in einem Ofen, obwohl die Fenster aufstanden.
Zwischen zwei Hammerschlägen hörte ich das Telefon klingeln. Ich hatte eigentlich keine Lust, meinen Rhythmus zu unterbrechen.
In dieser Hitze wäre es schwierig, den inneren Motor wieder anzuwerfen. Doch langsam legte ich den langen Griff nieder und
ging hinüber ins Wohnzimmer. Ich spürte die Zementsplitter unter meinen nackten Füßen. Auf dem Display des Telefons stand
JEANETTE
. Ich wischte mir die schmierige Hand an den Shorts ab und nahm das Gespräch an.
»
Jis
.«
»Schöne Weihnachten.« Jeanette Louws Grabesstimme war voll unerklärlicher Ironie – wie immer.
»Danke. Dir auch.«
»Muss ganz schön heiß draußen bei dir sein.«
»Achtunddreißig Grad im Freien.«
Im Winter sagte sie: »Muss ganz schön kalt draußen bei dir sein«, und man konnte hören, was sie von der Wahl meines Wohnortes
hielt. »Loxton«, sagte sie jetzt, als wäre das ein
Fauxpas
. »Tja, dann musst du eben schwitzen. Was macht man bei dir draußen zu Weihnachten?«
»Die Mauer zwischen Küche und Bad rausbrechen.«
»Hast du gesagt, zwischen Küche und Bad?«
|8| »So haben sie damals gebaut.«
»Und so feierst du also Weihnachten. Alte Dorftradition, was?« Dann brüllte sie einmal: »Ha!«
Ich wusste, sie hatte nicht angerufen, um mir schöne Weihnachten zu wünschen. »Du hast einen Job für mich.«
»Mhhm – mhhm.«
»Ein Tourist?«
»Nein. Eine Frau vom Kap. Sie sagt, gestern sei ein Überfall auf sie verübt worden. Sie will dich für ungefähr eine Woche
und hat schon die Anzahlung geleistet.«
Ich dachte an das Geld, das ich gut brauchen konnte.
»Oh?«
»Sie ist in Hermanus. Ich schicke dir die Adresse und Handynummer per SMS. Ihr sage ich, du bist unterwegs. Ruf mich an, wenn
du Probleme hast.«
Ich traf Emma le Roux das erste Mal in einem Strandhaus, von dem aus man über den alten Hafen von Hermanus blickte. Das Haus
war beeindruckend, drei nagelneue Stockwerke mit einer handgeschnitzten Eingangstür und einem Türklopfer in Form eines Löwenkopfes.
Ein Spielplatz für reiche Leute.
Um Viertel vor sieben am ersten Weihnachtsfeiertag öffnete mir ein junger Mann mit langem, lockigem Haar und einer Brille
mit dünnem Stahlrand die Tür. Er sagte, er heiße Henk und ich werde erwartet. Ich konnte sehen, dass er neugierig war, obwohl
er es gekonnt verbarg. Er bat mich herein und sagte, ich solle im Wohnzimmer warten, während er »Miss le Roux« rufe. Ein gut
erzogener Bursche. Es waren Geräusche aus der Tiefe des Hauses zu vernehmen – klassische Musik, Gespräche. Es roch nach Essen.
Er verschwand. Ich setzte mich nicht. Nach sechs Stunden Fahrt durch die Karoo in meinen Isuzu stand ich lieber. Es gab einen
Weihnachtsbaum, ein großes künstliches Ding mit Plastiknadeln und künstlichem Schnee. Vielfarbige Lichter blinkten. Oben auf
dem Baum stand ein Engel mit langem, blondem Haar, die Flügel gespreizt wie ein Greifvogel. Dahinter |9| waren die Vorhänge des großen Fensters offen. Die Bucht sah schön aus am späten Nachmittag, das Meer war ruhig und still.
Ich starrte hinaus.
»Mr. Lemmer?«
Ich drehte mich um.
Sie war klein und schlank. Ihr schwarzes Haar war sehr kurz geschnitten, fast wie bei einem Mann. Ihre Augen waren groß und
dunkel. Das obere Ende ihrer Ohren war ein wenig spitz. Sie sah aus wie eine Nymphe in einer Kindergeschichte. Sie stand einen
Augenblick da und sah mich an; sie musterte mich unwillkürlich von oben bis unten, um mich an ihren Erwartungen zu messen.
Sie verbarg ihre Enttäuschung gut. Normalerweise rechnen sie mit jemandem, der durch seine Statur beeindruckt – nicht mit
einer Person von durchschnittlicher Größe und Erscheinung.
Sie kam auf mich zu und streckte die Hand aus. »Ich bin Emma le Roux.« Ihre Hand war warm.
»Hallo.«
»Bitte setzen Sie sich«, sagte sie und deutete auf das Sofa im Wohnzimmer. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?« In
ihrer Stimme lag ein überraschendes Timbre, als gehörte sie zu einer
Weitere Kostenlose Bücher