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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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herrliche Mutter! Frau Eva! Der Name paßt vollkommen zu ihr, sie ist wie die Mutter aller Wesen.«
    Er sah mir einen Augenblick nachdenklich ins Gesicht.
    »Du weißt den Namen schon? Du kannst stolz sein, Junge! Du bist der erste, dem sie ihn schon in der ersten Stunde gesagt hat.«
    Von diesem Tag an ging ich im Hause ein und aus wie ein Sohn und Bruder, aber auch wie ein Liebender. Wenn ich die Pforte hinter mir schloß, ja schon wenn ich von weitem die hohen Bäume des Gartens auftauchen sah, war ich reich und glücklich. Draußen war die »Wirklichkeit«, draußen waren Straßen und Häuser, Menschen und Einrichtungen, Bibliotheken und Lehrsäle – hier drinnen aber war Liebe und Seele, hier lebte das Märchen und der Traum. Und doch lebten wir keineswegs von der Welt abgeschlossen, wir lebten in Gedanken und Gesprächen oft mitten in ihr, nur auf einem anderen Felde, wir waren von der Mehrzahl der Menschen nicht durch Grenzen getrennt, sondern nur durch eine andere Art des Sehens. Unsere Aufgabe war, in der Welt eine Insel darzustellen, vielleicht ein Vorbild, jedenfalls aber die Ankündigung einer anderen Möglichkeit zu leben. Ich lernte, ich lang Vereinsamter, die Gemeinschaft kennen, die zwischen Menschen möglich ist, welche das völlige Alleinsein gekostet haben. Nie mehr begehrte ich zu den Tafeln der Glücklichen, zu den Festen der Fröhlichen zurück, nie mehr flog mich Neid oder Heimweh an, wenn ich die Gemeinsamkeiten der andern sah. Und langsam wurde ich eingeweiht in das Geheimnis derer, welche »das Zeichen« an sich trugen.
    Wir, die mit dem Zeichen, mochten mit Recht der Welt für seltsam, ja für verrückt und gefährlich gelten. Wir waren Erwachte, oder Erwachende, und unser Streben ging auf ein immer vollkommeneres Wachsein, während das Streben und Glücksuchen der anderen darauf ging, ihre Meinungen, ihre Ideale und Pflichten, ihr Leben und Glück immer enger an das der Herde zu binden. Auch dort war Streben, auch dort war Kraft und Größe. Aber während, nach unserer Auffassung, wir Gezeichneten den Willen der Natur zum Neuen, zum Vereinzelten und Zukünftigen darstellten, lebten die andern in einem Willen des Beharrens. Für sie war die Menschheit – welche sie liebten wie wir – etwas Fertiges, das erhalten und geschützt werden mußte. Für uns war die Menschheit eine ferne Zukunft, nach welcher wir alle unterwegs waren, deren Bild niemand kannte, deren Gesetze nirgend geschrieben standen.
    Außer Frau Eva, Max und mir gehörten zu unsrem Kreise, näher oder ferner, noch manche Suchende von sehr verschiedener Art. Manche von ihnen gingen besondere Pfade, hatten sich abgesonderte Ziele gesteckt und hingen an besonderen Meinungen und Pflichten, unter ihnen waren Astrologen und Kabbalisten, auch ein Anhänger des Grafen Tolstoi, und allerlei zarte, scheue, verwundbare Menschen, Anhänger neuer Sekten, Pfleger indischer Übungen, Pflanzenesser und andre. Mit diesen allen hatten wir eigentlich nichts Geistiges gemein als die Achtung, die ein jeder dem geheimen Lebenstraum des andern gönnte. Andre standen uns näher, welche das Suchen der Menschheit nach Göttern und neuen Wunschbildern in der Vergangenheit verfolgten und deren Studien mich oft an die meines Pistorius erinnerten. Sie brachten Bücher mit, übersetzten uns Texte alter Sprachen, zeigten uns Abbildungen alter Symbole und Riten und lehrten uns sehen, wie der ganze Besitz der bisherigen Menschheit an Idealen aus Träumen der unbewußten Seele bestand, aus Träumen, in welchen die Menschheit tastend den Ahnungen ihrer Zukunftsmöglichkeiten nachging. So durchliefen wir den wunderbaren, tausendköpfigen Götterknäuel der alten Welt bis zum Herandämmern der christlichen Umkehr. Die Bekenntnisse der einsamen Frommen wurden uns bekannt, und die Wandlungen der Religionen von Volk zu Volk. Und aus allem, was wir sammelten, ergab sich uns die Kritik unserer Zeit und des jetzigen Europa, das in ungeheuren Bestrebungen mächtige neue Waffen der Menschheit erschaffen hatte, endlich aber in eine tiefe und zuletzt schreiende Verödung des Geistes geraten war. Denn es hatte die ganze Welt gewonnen, um seine Seele darüber zu verlieren.
    Auch hier gab es Gläubige und Bekenner bestimmter Hoffnungen und Heilslehren. Es gab Buddhisten, die Europa bekehren wollten, und Tolstoijünger, und andre Bekenntnisse. Wir im engern Kreise hörten zu und nahmen keine dieser Lehren anders an denn als Sinnbilder. Uns Gezeichneten lag keine Sorge um die

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