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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Verzicht auf diesen holden Schimmer bezahlen müsse. Nun sah ich entzückt, daß dies alles nur verschüttet und verdunkelt gewesen war und daß es möglich sei, auch als Freigewordener und auf Kinderglück Verzichtender die Welt strahlen zu sehen und die innigen Schauer des kindlichen Sehens zu kosten.
    Es kam die Stunde, da ich den Vorstadtgarten wiederfand, bei dem ich mich diese Nacht von Max Demian verabschiedet hatte. Hinter hohen, regengrauen Bäumen verborgen stand ein kleines Haus, hell und wohnlich, hohe Blumenstauden hinter einer großenGlaswand, hinter blanken Fenstern dunkle Zimmerwände mit Bildern und Bücherreihen. Die Haustür führte unmittelbar in eine kleine erwärmte Halle, eine stumme alte Magd, schwarz, mit weißer Schürze, führte mich herein und nahm mir den Mantel ab.
    Sie ließ mich in der Halle allein. Ich sah mich um, und sogleich war ich mitten in meinem Traume. Oben an der dunkeln Holzwand, über einer Tür, hing unter Glas in einem schwarzen Rahmen ein wohlbekanntes Bild, mein Vogel mit dem goldgelben Sperberkopf, der sich aus der Weltschale schwang. Ergriffen blieb ich stehen – mir war so froh und weh ums Herz, als kehre in diesem Augenblick alles, was ich je getan und erlebt, zu mir zurück als Antwort und Erfüllung. Blitzschnell sah ich eine Menge von Bildern an meiner Seele vorüberlaufen; das heimatliche Vaterhaus mit dem alten Steinwappen überm Torbogen, den Knaben Demian, der das Wappen zeichnete, mich selbst als Knaben, angstvoll in den bösen Bann meines Feindes Kromer verstrickt, mich selbst als Jüngling, in meinem Schülerzimmerchen am stillen Tisch den Vogel meiner Sehnsucht malend, die Seele verwirrt ins Netz ihrer eigenen Fäden – und alles, und alles bis zu diesem Augenblick klang in mir wider, wurde in mir bejaht, beantwortet, gutgeheißen.
    Mit naß gewordenen Augen starrte ich auf mein Bild und las in mir selbst. Da sank mein Blick herab: unter dem Vogelbilde in der geöffneten Tür stand eine große Frau in dunklem Kleid. Sie war es.
    Ich vermochte kein Wort zu sagen. Aus einem Gesicht, das gleich dem ihres Sohnes ohne Zeit und Alter und voll von beseeltem Willen war, lächelte die schöne, ehrwürdige Frau mir freundlich zu. Ihr Blick war Erfüllung, ihr Gruß bedeutete Heimkehr. Schweigend streckte ich ihr die Hände entgegen. Sie ergriff sie beide mit festen, warmen Händen.
    »Sie sind Sinclair. Ich kannte Sie gleich. Seien Sie willkommen!«
    Ihre Stimme war tief und warm, ich trank sie wie süßen Wein. Und nun blickte ich auf und in ihr stilles Gesicht, in die schwarzen, unergründlichen Augen, auf den frischen, reifen Mund, auf die freie, fürstliche Stirn, die das Zeichen trug.
    »Wie bin ich froh!« sagte ich zu ihr und küßte ihre Hände. »Ichglaube, ich bin mein ganzes Leben lang immer unterwegs gewesen – und jetzt bin ich heimgekommen.«
    Sie lächelte mütterlich.
    »Heim kommt man nie«, sagte sie freundlich. »Aber wo befreundete Wege zusammenlaufen, da sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus.«
    Sie sprach aus, was ich auf dem Weg zu ihr gefühlt hatte. Ihre Stimme und auch ihre Worte waren denen ihres Sohnes sehr ähnlich, und doch ganz anders. Alles war reifer, wärmer, selbstverständlicher. Aber ebenso wie Max vor Zeiten auf niemand den Eindruck eines Knaben gemacht hatte, so sah seine Mutter gar nicht wie die Mutter eines erwachsenen Sohnes aus, so jung und süß war der Hauch über ihrem Gesicht und Haar, so straff und faltenlos war ihre Haut, so blühend der Mund. Königlicher noch als in meinem Traume stand sie vor mir, und ihre Nähe war Liebesglück, ihr Blick war Erfüllung.
    Dies also war das neue Bild, in dem mein Schicksal sich mir zeigte, nicht mehr streng, nicht mehr vereinsamend, nein, reif und lustvoll! Ich faßte keine Entschlüsse, tat kein Gelübde – ich war an ein Ziel gekommen, an eine hohe Wegstelle, von wo aus der weitere Weg sich weit und herrlich zeigte, Ländern der Verheißung entgegenstrebend, überschattet von Baumwipfeln nahen Glückes, gekühlt von nahen Gärten jeder Lust. Mochte es mir gehen, wie es wollte, ich war selig, diese Frau in der Welt zu wissen, ihre Stimme zu trinken und ihre Nähe zu atmen. Mochte sie mir Mutter, Geliebte, Göttin werden – wenn sie nur da war! wenn nur mein Weg dem ihren nahe war!
    Sie wies zu meinem Sperberbild hinauf.
    »Sie haben unserem Max nie eine größere Freude gemacht als mit diesem Bild«, sagte sie nachdenklich. »Und mir auch. Wir haben auf Sie

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