Denken Sie Nicht an Einen Blauen Elefanten
Beispiel im limbischen System und im assoziativen Teil des Kortex), die wiederum auf das Körpergefühl
zurückwirken. Das Körpergefühl (das nicht nur durch externe Reize, sondern auch durch Erinnerungen an vergangene Erlebnisse
entsteht) ist noch vorbewusst und nicht an Sprache gekoppelt. Es ist ein «Körper-Selbst», das als Grundlage für weitere, immer
differenziertere Schichten unseres Selbst dient. Dieses System hat immer eine individuelle Geschichte und ist |32| auf Körperebene als emotionales Reaktionsmuster verankert, das durch Interaktionserfahrungen mit der Mutter entstanden ist.
Erst im Laufe der Zeit entwickelt das Gehirn kognitive und selbstreflektierende Fähigkeiten, das heißt ein Selbstbild, das
wir für gewöhnlich «Ich» nennen.
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Das Gehirn passt neuronale Verschaltungen und synaptische Verbindungen immer an das an, womit es in enger Beziehung steht;
am Anfang der Entwicklung ist das zunächst nur der eigene Körper. Auch Sinneseindrücke, die von außen ausgelöst werden, betrachtet
der kindliche Organismus als innere, körperliche Erlebnisse. Mit der Zeit werden Beziehungen zu anderen Menschen wichtiger
und mitunter enger als die zum eigenen Körper, was dazu führen kann, dass die Beziehung |33| zum Körper verkümmert. Häufig lässt sich zum Beispiel beobachten, dass der bei kleinen Kindern noch vorhandene Impuls, den
ganzen Körper einzusetzen, um Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken, in späteren Jahren deutlich unterdrückt und kontrolliert
wird. Ursprünglich wird unser Denken, Fühlen und Handeln ausschließlich von den eigenen Körpererfahrungen und Sinneseindrücken
geprägt. Wird dieses Fundament rigoros unterdrückt, wird sich der Mensch selber fremd. Daraus lässt sich folgern, dass Gehirn
– oder Geist – und Körper, Body and Mind, aufgrund ihrer gemeinsamen Entstehungsgeschichte untrennbar miteinander verbunden
sind. Verändert sich das eine, beeinflusst dies das andere. Im Grunde gibt es «das eine» und «das andere» gar nicht – beide
sind eins.
Dennoch geschieht die Trennung von Verstand und Körper gewöhnlich durch den Prozess der Anpassung an andere Menschen und die
Gesellschaft. Das Bedürfnis, dazuzugehören und geliebt zu werden, ist stärker als die Bedürfnisse des Körpers. Diese Sozialisierung
ist notwendig, damit das soziale Wesen Mensch überleben kann, doch sollte das Körpergefühl bei diesem Prozess unbedingt erhalten
bleiben, da es von gleichwertiger Bedeutung für den Menschen ist.
Die wichtigste Erkenntnis der Hirnforschung lautet nach Meinung von Maja Storch, Diplompsychologin, Psychodramatherapeutin
und Mitglied der «Jungen Psychoanalytiker»: Unser Gehirn ist eine lebenslange Baustelle. Alles, was wir erleben, wird als
Muster des Erlebens und Verhaltens im Gehirn «verkörpert» und bleibt formbar. Das bedeutet aber auch, dass wir – unser Geist
und unser Körper – niemals «fertig» sind und wir die Möglichkeit haben, alte – motorische, sensorische oder affektive – Muster
zu verlassen. Dies ist möglich, indem wir beginnen, anders wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen und zu handeln als bisher.
|34| i Der freie Wille – eine Schimäre oder Faktum?
Gibt es einen freien Willen? Was meint die Medizin? Die moderne Hirnforschung sagt: «Nein!» Ich sage: «Nein, nicht wirklich,
aber das ist auch nicht weiter schlimm!» Der freie Wille ist nach Meinung renommierter Wissenschaftler wie der Hirnforscher
Wolf Singer oder John-Dylan Haynes wahrscheinlich nur eine Illusion, da unser Gehirn und damit auch unser Bewusstsein und
unser Selbstbild physikalischen Gesetzen gehorcht, also ein deterministisches – vorherbestimmtes – System ist. Haynes hat
2008 im Fachblatt
Nature Neuroscience
eine Studie veröffentlicht, in der er anhand der Aktivität zweier Hirnregionen das Handeln seiner Versuchspersonen voraussagen
konnte; und zwar volle zehn Sekunden bevor sie sich selbst ihres Entschlusses bewusst waren. Fairerweise muss man sagen, dass
diese Voraussagen derzeit nur bei sehr einfachen und klaren Alternativen gemacht werden können und auch dann nur zu 60 Prozent zutreffen. Doch um die Voraussage ging es Haynes gar nicht. Entscheidend war der Zeitpunkt, zu dem die Hirnaktivität
gemessen wurde – eben zehn Sekunden bevor der Proband selber wusste, was er tun wollte. Der Wissenschaftler schlussfolgerte,
dass eine Reihe von unbewussten Prozessen der bewussten
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