Denn wer zuletzt stirbt
nach Winter. Ich bekam Dr. Valenta an den Apparat, unseren altgedienten Fährmann auf der Barke zwischen gerade noch am Leben und noch nicht ganz tot sein, und wie zu erwarten, war Valenta sauer. Nicht nur, weil er im Gegensatz zu mir auch den Rest der Nacht in der Klinik verbracht hatte, mehr noch, weil er mit meinem Vorgehen im Fall Winter nicht einverstanden war.
»Du hast Glück gehabt, Felix. Besser, dein Patient hat Glück gehabt. Jedenfalls hat er bisher keine großen Probleme gemacht. Wir werden ihn nachher von der Beatmung nehmen und schauen, ob er dann was zu sagen hat.«
Valenta machte eine Pause, ich wußte, es würde noch etwas kommen.
»Aber, selbst wenn dein Herr Winter jemals wieder mehr als ›alle meine Entchen‹ herausbringen sollte, ist der Fall vielleicht eine gute Gelegenheit, daß du deine Einstellung zur Intensivstation überdenkst, Felix.«
Für Valenta war die Sache klar – Winter hätte schon vor drei Tagen auf seine Intensivstation gehört. Eigentlich hatte sich Winter nach der Chemotherapie recht gut erholt und lag nur noch zur besseren Einstellung seines Zuckers bei meinen Chronikern. Gegen Weihnachten hatten wir auch den ziemlich im Griff, die Entlassung stand unmittelbar an. Sogar die Hauspflege und der fahrbare Mittagstisch waren organisiert, eine ziemliche Leistung zwischen den Feiertagen.
Ausgerechnet da hatte er sich, wohl doch noch als Folge der Chemotherapie, aber vielleicht auch bei der berühmten Patientenpolonäse am Heiligen Abend, einen bösen Infekt eingefangen. Zuerst sah es so aus, als würden unsere Antibiotika ihren Job erfüllen, doch dann stiegen die Temperaturen wieder an, der Zucker erst recht, und sein Blutdruck kräpelte irgendwo zwischen sechzig und siebzig herum: Langsam aber sicher rutschte uns der Patient in eine Sepsis.
Herbert Winter war zwar Jahrgang 1919, aber noch vollkommen klar im Kopf. Er schrieb an einem Buch über den Luftkampf um England im Zweiten Weltkrieg, hatte weiterhin Freude am Leben, ein Abonnement für die Philharmonie und bis zur Chemotherapie nie eine Karte verfallen lassen. Deshalb hatten wir, Arzt und Patient gemeinsam, beschlossen, der Sache noch eine Chance zu geben. Winter bekam durchaus eine Intensivtherapie, mit Infusionspumpe und allem an Medikamenten, was gut und teuer (und manchmal sogar hilfreich) ist, aber nicht auf der Intensivstation, sondern in seinem Zimmer.
Da in seinem Fall der Aufwand an Technik überschaubar war, wollte ich ihm die Gesellschaft von maschinell beatmeten Dreiviertelleichen und die aufbauende Unterhaltung mit ein paar Wiederbelebungen pro Tag in den Nachbarbetten ersparen. Ich war in ähnlichen Fällen wiederholt so verfahren, immer mit deutlicher Kritik von Heinz Valenta, obgleich ein ähnlicher Zwischenfall mit der nicht mehr ganz modernen Technik auf unserer Station bisher nie vorgekommen war.
»Es war nur eine durchgebrannte Sicherung, Heinz!«
»Und genau davon rede ich, Felix. Sicherungen können durchbrennen. Auch bei uns auf der Intensivstation. Der Unterschied ist nur, wir merken es sofort. Was deinen Patienten betrifft, kann es gut sein, daß wir zur Zeit ein totes Hirn beatmen.«
Frohes neues Jahr!
»Ich glaube nicht, daß er so lange weg war, dafür haben wir ihn zu schnell zurückbekommen. Schwester Renate hatte erst kurz vorher nach ihm geschaut.«
Am anderen Ende der Leitung entstand eine kurze Pause.
»Schwester Renate?«
»Ja. Wir passen auch ein bißchen auf unsere Patienten auf.« Irgend etwas schien Valenta zu stören. Damals dachte ich, es wäre nur die Verärgerung, daß ich ihm meine Patienten immer zu spät auf die Intensivstation verlege. Jedenfalls war er plötzlich sehr kurz angebunden.
»Wie gesagt. Nachher versuchen wir ihn von der Beatmung abzunehmen. Dann werden wir ja sehen.«
Er legte auf.
Ich gab Winter gute Chancen: Während meines Telefonats waren weder die Brötchen verbrannt noch der Kaffee über den Filter gelaufen. Ein gutes Omen. Eingedenk ihrer bösen Aschenbecherbemerkung gurgelte ich kräftig mit Celines Mundwasser, packte das Frühstück auf ein Tablett und hoffte, Celine in gnädigerer Stimmung anzutreffen. Trotz der Kritik von Valenta war mir immer noch nach einem schönen Neujahrsmorgenbeischlaf. Und mit meinem Einsatz in der Küche hatte ich ihn mir auch verdient, schien mir.
Celine hatte kein Problem damit, sich von meinem Tablett zu bedienen. Zu der erwarteten Belohnung jedoch führte das nicht.
»Ich habe schreckliche Kopfschmerzen.
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