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Der 13. Brief

Titel: Der 13. Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Klassen
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Frauensolidarität aufkommen lassen können.
    Denkste.
    Ohne Zweifel gehörte sie zu der Sorte alter Tanten, die kreative Frisuren, moderne Musik und spielende Kinder so erfreulich fanden wie ein mittelgroßes Hühnerauge.
    Ein vorbeiwatschelnder Zweijähriger lenkte den Unmut der Oma von meinen Haaren ab, indem er ein altes Kaugummipapier vom Boden aufhob und sorgfältig in der winzigen Kapuze seiner Jacke verstaute.
    Der Zug wurde langsamer.
    Bielefeld Hauptbahnhof las ich auf dem Schild, das an meinem Fenster vorbeihuschte.
    Die Oma erhob sich und stolzierte zur Tür.
    Ich faltete bedächtig den zerknüllten Zettel auseinander, strich ihn glatt und betrachtete ihn nachdenklich.
    Mit zehn hatte ich das erste Mal geraucht, mit elf gekifft – und das nur aus einem Grund: Weil mein Vater es streng verbot.
    Als meine Mutter mir erklärt hatte, die Tochter des Oberstaatsanwaltes könne keinen zerknitterten Cord tragen, hatte ich mir noch eine blaue Punkfrisur dazumachen lassen.
    Und als meine Eltern von mir verlangten, für die mündliche Bioprüfung zu pauken, um meinen Abischnitt aufzumöbeln, hatte ich die Nacht durchgesoffen.
    Ich beobachtete, wie der kleine Ordnungsfanatiker neben meinen Füßen einen angelutschten Lolli in seiner Kapuze verschwinden ließ.
    Gab es einen vernünftigen Grund, aus dem ich ausgerechnet heute damit anfangen sollte, meine Prinzipien zu ignorieren?
    Mir fiel keiner ein.
    Der Zug setzte sich wieder in Bewegung.
    Entschlossen zerriss ich die Uni-Einschreibung und genoss das Triumphgefühl beim Ratschen des Papiers.
    Dann stopfte ich die Schnipsel zu dem anderen Abfall in die Kapuze des Kindes.
    Ungefähr hundert Kilometer später fiel mir ein, dass mein Fahrschein schon lange ungültig sein musste. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wohin der Zug fuhr.
    Kurz dachte ich über meine Möglichkeiten nach: Hundert zerknitterte Euro steckten in meiner Hosentasche, die Klamotten in meinem Rucksack reichten höchstens für eine Woche und es regnete.
    Eine Regenjacke hatte ich nicht dabei.
    Ich rutschte ein Stück zur Seite, als sich drei Jungs zu mir in die Sitzreihe zwängten. Zwei von ihnen plumpsten auf die Bank gegenüber, der Dritte lümmelte sich neben mich und stellte lässig ein Bein aufs Polster.
    Sie waren jünger als ich, fünfzehn vielleicht, und verständigten sich durch eine Sprache, die wie eine Mischung aus Türkisch, Kölsch und dem Inhalt von Comic-Sprechblasen klang.
    Wenigstens fühlten sich meine neuen Begleiter von meiner Frisur nicht persönlich angegriffen. Sie zogen ihre Handys hervor und hämmerten darauf herum.
    Draußen veränderte sich die Landschaft. Seit einiger Zeit gab es weniger Wiesen und Felder. Zwischen den blattlosen Bäumen an der Bahnstrecke wuchsen immer öfter Schallschutzwände aus Beton in die Höhe. Mal verschwanden Häuser dahinter, mal wuchsen sie als eckige, graue Säulen in den grauen Himmel.
    Die Namen auf den Schildern der Bahnhöfe klangen bekannt. Hamm, Kamen und Dortmund – ich landete im Ruhrgebiet!
    Die drei Comicfiguren rissen mich aus meinen Gedanken.
    »Fuck, Fettbacke kommt!«
    »Ey, walz – walz!«
    »Los, wech!«
    Sie sprangen auf und stolperten eilig durch den Mittelgang davon.
    Echt unauffällig!
    Ich spähte durch den Zug.
    Ein Bauch in einer blauen Schaffneruniform quetschte sich durch den Gang. Über dem Bauch kam ein Kinn, dann noch eins und obendrauf thronte der Kopf, wie ein zu stramm aufgepusteter Luftballon.
    Die Körperfülle des Schaffners war für Zugfahrten denkbar ungeeignet. Er hatte das gleiche Problem wie Kinderwagen und Rollstühle: Er passte nicht zwischen den Sitzreihen hindurch. Er musste sich erst seitlich drehen, um voranzukommen.
    »Nächster Halt: Bochum Hauptbahnhof«, meldete eine freundliche Lautsprecherstimme.
    Ich stand auf und zog meinen Rucksack von der Gepäckablage, als hätte ich nur auf diese Ansage gewartet. Ohne Eile schlenderte ich den drei Jungen nach.
    »Wenn meine Olle mitkrischt, dat ich jeschwänzt hab und schwarzjefahren bin, isset Handy wesch!«, raunte einer der Jungen dem anderen zu, als ich mich neben sie an die nächste Tür stellte.
    Der ICE wurde langsamer. Doch schon schob der Schaffner seinen Bauch heran: »Fahrkartenkontrolle!«
    »Wir müssen hier raus, Alter!«, motzte einer der Schwarzfahrer frech.
    »Wenn ich deine Karte nicht sehe, steigst du nirgendwo aus!«
    Und siehe da: Die drei begannen brav, in ihren Taschen zu kramen.
    Der Zug bremste leise quietschend

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