Der Alchimist
ins Freie ziehen.
»Laß es nicht zu, daß man deine Angst bemerkt«, sagte der Alchimist. »Das sind tapfere Männer, und sie verachten Feiglinge.« Dem Jüngling hatte es die Sprache verschlagen. Erst nach einiger Zeit, während sie durch das Lager gingen, fand de Jüngling seine Stimme wieder. Die Araber sahen keine Notwendigkeit, sie einzusperren, sie nahmen ihnen lediglich die Pferde ab. Und wieder einmal zeigte die Welt ihre vielen Ausdrucksformen: Die Wüste, ehemals eine ihnen offen stehende, unendliche Landschaft, schien nun zu einer unbezwingbaren Mauer geworden zu sein.
»Du hast ihnen mein ganzes Vermögen gegeben!« sagte der Jüngling empört. »Alles, was ich in meinem ganzen Leben verdient habe!« »Und wozu würde es dir nützen, wenn du sterben müßtest?« entgegnete der Alchimist. »Dein Geld hat dich für drei Tage gerettet. Nur selten hat Geld dazu gedient, den Tod hinauszuschieben.« Aber der Jüngling war zu verschreckt, um weisen Worten zu lauschen. Er wußte nicht, wie er sich in Wind verwandeln sollte. Schließlich war er kein Alchimist.
Der Alchimist bat einen Krieger um Tee und strich ein wenig davon auf das Handgelenk des Jünglings. Während der Alchimist einige Worte murmelte, die der Schüler nicht verstand, durchflutete ihn eine Welle des Friedens. »Gib dich nicht der Verzweiflung anheim. Sonst wirst du dich nicht mehr mit deinem Herzen verständigen können«, sagte der Alchimist mit einer ungewöhnlich sanften Stimme.
»Aber ich kann mich doch nicht in Wind verwandeln.« »Wer seine innere Bestimmung erfüllt, weiß alles, was er wissen muß. Nur eines macht sein Traumziel unerreichbar: die Angst vor dem Versagen.« »Ich habe keine Angst vor dem Versagen. Nur kann ich mich nicht in Wind verwandeln.« »Dann mußt du es lernen, denn dein Leben hängt davon ab.« »Und wenn ich es nicht schaffe?« »Dann stirbst du, während du deine innere Bestimmung erfüllst. Es ist immerhin besser, so zu sterben als wie Millionen andere, die niemals erfahren haben, daß es überhaupt eine innere Bestimmung gibt. Aber sorge dich nicht Gewöhnlich macht einen der bevorstehende Tod empfindlicher für das Leben.« Der erste Tag ging vorüber. In der Nähe hatte es eine groß« Schlacht gegeben, und es wurden viele Verwundete ins Lager gebracht. >Gar nichts ändert sich nach dem Tod<, dachte der Jüngling. Die gefallenen Krieger wurden durch neue ersetzt, und das Leben nahm seinen Lauf.
»Du hättest mit dem Tod noch warten können, mein Freund«, sagte ein Wächter zu dem leblosen Körper eine: Kameraden. »Du hättest sterben können, wenn wieder Frieden herrscht. Aber irgendwann wärst du sowieso gestorben.« Am Abend suchte der Jüngling den Alchimisten auf Dieser brachte gerade seinen Falken in die Wüste.
»Ich kann mich nicht in Wind verwandeln«, wiederholte der Jüngling. »Denk daran, was ich dir gesagt habe: Die Welt ist nur der sichtbare Teil von Gott. Die Alchimie ist dafür zuständig, daß sich die geistige Vollkommenheit auf das Stoffliche überträgt.« »Was machst du hier?« »Meinem Falken Nahrung geben.« »Wozu? Wenn ich mich nicht in Wind verwandeln kann dann sterben wir alle drei«, meinte der Jüngling. »Wozu noch dem Falken Futter geben?« »Nur du wirst sterben«, entgegnete der Alchimist. »Dem ich kann mich in Wind verwandeln.«
29
Am zweiten Tag stieg der Jüngling auf einen hohen Felsen, der sich in der Nahe des Lagers befand. Die Wächter ließen ihn vorbei; sie hatten schon von dem Zauberer gehört, der sich in Wind verwandeln könne, und wollten ihm nicht zu nahe kommen. Außerdem war die Wüste wie eine unbezwingbare Mauer.
Er blieb den Rest des zweiten Tages dort oben sitzen, blickte in die Wüste und lauschte der Stimme seines Herzens - und die Wüste lauschte seiner Angst. Beide sprachen sie die gleiche Sprache.
30
Am dritten Tag versammelte der oberste Kriegsherr seine Heerführer um sich.
»Nun laß uns sehen, wie sich der Bursche in Wind verwandelt«, sagte er, an den Alchimisten gewandt.
»Wir werden sehen«, antwortete der Alchimist.
Der Jüngling brachte sie an den Ort, wo er am vorherigen Tag gewesen war. Dann bat er alle, sich zu setzen.
»Es wird eine Weile dauern«, sagte er.
»Wir haben keine Eile«, erwiderte der Anführer. »Wir sind Männer der Wüste.«
31
Der Jüngling blickte sich um. Es waren Berge in der Ferne um ihn Dünen, Felsen und Kriechgewächse, die zu leben versuchten, wo das Überleben unmöglich schien. Hier lag die
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