Der Alchimist
in die Betrachtung der Wüste zu versenken und sich gemeinsam mit dem Jüngling an der Weltenseele zu laben. Er und sein Herz wurden gute Freunde - einer wurde unfähig, den anderen zu betrügen.
Wenn sein Herz zu ihm sprach, so um ihn anzuregen und ihm Kraft zu geben, denn das Schweigen während des Tags lastete bisweilen schwer auf dem Jüngling. Sein Herz vergegenwärtigte ihm nun, wozu er befähigt war, sprach von dem Mut, den er bewiesen hatte, als er seine Schafe verließ und seinem persönlichen Lebensweg folgte, und von der Begeisterung, mit der er im Kristallwarengeschäft erfüllt war. Es erzählte ihm aber auch von etwas, worauf der Jüngling nie einen Gedanken verschwendet hatte: von den Gefahren, denen er nur knapp entkommen war und von denen er gar nicht gewußt hatte. Einmal hatte es die Pistole verschwinden lassen, die der Jüngling dem Vater entwendet hatte und mit der er sich zu verletzen drohte. Und dann war da jener Tag mitten auf dem Land, an dem es dem Jüngling so schlecht war, daß er sich übergab, worauf er in tiefen Schlaf versunken war: Unweit von jener Stelle hatten ihm zwei Wegelagerer aufgelauert, um seine Schafe zu stehlen und ihn zu töten. Doch da der Jüngling nicht erschien, machten sie sich schließlich aus dem Staub, da sie dachten, er habe einen anderen Weg eingeschlagen.
»Stehen die Herzen den Menschen immer bei?« fragte er den Alchimisten. »Nur denjenigen, die ihren persönlichen Lebensweg verwirklichen. Und sie stehen auch oft Kindern, Betrunkenen und Alten zur Seite.« »Das heißt, daß es gar keine Gefahr gibt?« »Es heißt nur, daß die Herzen tun, was sie können«, antwortete der Alchimist.
Eines Nachmittags kamen sie am Lager von einem der sich bekriegenden Stämme vorbei. Sie sahen bewaffnete Araber mit prächtigen weißen Gewändern. Die Männer rauchten die Nargileh und unterhielten sich über die Kämpfe. Niemand schenkte den beiden Reisenden Beachtung. »Es droht keinerlei Gefahr«, bemerkte der Jüngling, als sie sich schon etwas vom Lager entfernt hatten.
Der Alchimist wurde wütend. »Vertraue auf die Stimme deines Herzens, aber vergiß nicht, daß du dich in der Wüste befindest. Wenn die Menschen Krieg führen, dann bekommt auch die Weltenseele die Kampfrufe zu spüren. Niemand bleibt verschont von all dem, was unter der Sonne geschieht.« >Alles ist in Einem<, dachte der Jüngling. Und als wollte die Wüste beweisen, daß der alte Alchimist recht hatte, kamen ihnen zwei Reiter nach.
»Ihr könnt nicht Weiterreisen«, sagte einer von ihnen. »Ihr befindet euch mitten im Kampfgebiet.« »Ich gehe nicht weit«, entgegnete der Alchimist und fixierte die Augen der Krieger. Sie blieben einige Minuten stumm und willigten schließlich in die Weiterreise der beiden ein. Der Jüngling hatte dem fasziniert zugesehen. »Du hast die Krieger mit dem Blick bezwungen«, bemerkte er überwältigt. »Die Augen zeigen die Kraft der Seele an«, entgegnete der Alchimist. >Das stimmt< dachte der Jüngling. Er hatte nämlich bemerkt, daß im Lager, inmitten der Menge von Soldaten, einer war, der sie mit festem Blick betrachtet hatte. Dabei war jener so weit entfernt, daß er nicht einmal dessen Gesicht richtig erkennen konnte. Dennoch war der Jüngling sicher, daß jener sie ansah.
Als sie sich gerade anschickten, eine Bergkette zu überqueren, die sich über den ganzen Horizont erstreckte, bemerkte der Alchimist, daß es nur noch zwei Tagesreisen bis zu den Pyramiden seien. »Da wir uns bald trennen werden, lehre mich Alchimie«, bat der Jüngling. »Du beherrschst sie schon. Es bedeutet, in die Weltenseele einzutauchen und den Schatz zu entdecken, den sie für uns bereithält.« »Das meine ich nicht. Ich spreche von der Verwandlung von Blei in Gold.« Der Alchimist respektierte die Stille der Wüste und antwortete erst, als sie anhielten, um zu essen.
»Alles im Universum entwickelt sich«, sagte er. »Und für die Weisen bedeutet Gold die höchste Fortentwicklung. Frag mich nicht, warum. Ich weiß nur, daß die Tradition immer recht hat. Es waren die Menschen, die die Worte der Weisen nicht richtig auslegten. Anstatt zum Symbol einer Weiterentwicklung zu werden, wurde das Gold zum Symbol der Kriege.« »Die Dinge sprechen viele Sprachen«, warf der Jüngling ein. »Ich erlebte, wie das Schreien eines Kamels erst nichts als ein Schreien war, dann wurde es ein Zeichen von Gefahr, und letztlich war es wieder nur ein Schreien.« Nun schwieg er. Der Alchimist würde das
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