Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
eingegipsten Arms klopfte er neben sich auf das Bett und grinste über das ganze Gesicht. »Niemandem wird ein Haar gekrümmt, wenn du keine Dummheiten machst«, sagte er. »Komm einfach rüber und zieh den Morgenmantel aus. Und dann machen wir beide es uns richtig gemütlich.«
Als er von Lizas Apartment zurück zum Haus der Novios fuhr, wusste Michael Durbin nur eines: dass er völlig von der Rolle war.
Er verspürte Schuldgefühle, aber auch – keine Frage – einen beglückenden Rausch, diese Stunden mit Liza verbracht zu haben. Er redete sich ein, dass er nicht mit der Absicht losgefahren war, mit ihr im Bett zu landen. Er brauchte einfach jemanden, mit dem er reden konnte, dem er vertraute, der ihm glaubte. Aber wusste er nicht bereits auf dem Weg zu Liza, dass Sex durchaus im Bereich des Möglichen war? Doch selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte – na und? Und dann meldete sich wieder die andere Stimme in seinem Kopf und sagte: Dass es so kurz nach Janices Tod passieren musste – ist das wirklich na und ? Andererseits war Janice nun einmal tot, inzwischen sogar eingeäschert. Er war ihr immer treu geblieben, so wie er es damals geschworen hatte – bis dass der Tod sie trennen würde. Darüber hinaus war er ihr zu nichts mehr verpflichtet.
Für vieles, was ihm durch den Kopf ging, fand er selbst keine Erklärung, und Liza war intelligent und feinfühlig genug gewesen, mit seinen offenen Wunden behutsam umzugehen: dass Janice tot war, dass seine Gemälde zerstört wurden, dass sein ältester Sohn in ihm einen potenziellen Mörder sah, dass es im Büro drunter und drüber ging und – wo er schon mal dabei war – dass er nach zwanzig Jahren zum ersten Mal mit einer anderen Frau geschlafen hatte. Nicht zu vergessen, dass er gerade mit einem Gewehr im Kofferraum durch die Gegend fuhr.
Er hatte keinen Anlass gesehen, Glitsky über den wahren Grund zu unterrichten, warum er früher am Abend in seine Garage gefahren war. Dass er dort seine zerstörten Gemälde vorfand, war eigentlich nur ein Zufall gewesen – er war gekommen, um das Gewehr zu holen. Und er war sich nicht sicher, ob er es nur zu seinem persönlichen Schutz holen wollte oder um vielleicht selbst auf die Jagd zu gehen. Kaum dass sich der Gedanke in seinem Kopf eingenistet hatte, konnte er dem Impuls jedenfalls nicht mehr widerstehen.
Bevor er den Wagen in der Toreinfahrt abstellte, schaute er noch mal kurz auf die Uhr. Es war 1.21 Uhr. Er stieg aus und öffnete den Kofferraum. Da lag das Gewehr, daneben ein Päckchen mit Munition, Kaliber 12. Er nahm beides heraus und ging durch die Küche ins Haus. Wenn man schon eine Waffe hatte, dachte er sich, sollte man sie im Notfall auch zur Hand haben.
Im Wohnzimmer brannte noch immer Licht. Als Michael durch die Küche hereinkam, blickte Chuck von seinem Lesesessel auf; ein Stapel Papier lag auf seinem Schoß, ein weiterer auf dem Fußboden.
»Du bist noch auf?«, fragte Michael
»Konnte nicht schlafen.« Er machte eine vage Handbewegung. »Was willst du denn mit dem Ding da?«
»Ich will’s griffbereit haben.«
»Ist es geladen? Ich glaube nicht, dass ich mich mit einer geladenen Waffe im Haus besonders wohlfühle.«
Statt einer Antwort öffnete Michael den Gewehrlauf und schaute hindurch. »Beide Läufe leer.« Dann hielt er die Packung hoch: »Munition ist hier.«
»Wo willst du das Ding denn aufbewahren?«
»In Reichweite. Hat dir Kathy schon erzählt, was es Neues gibt?«
»Ich hab sie nicht mehr gesehen. Sie schlief schon, als ich kam. Was gibt es Neues?«
Michael setzte sich, legte das Gewehr auf den Couchtisch zwischen ihnen und erzählte ihm von den zerstörten Gemälden.
»Alle?« Chuck war inzwischen auf seinem Sessel nach vorne gerutscht.
»Jedes einzelne.«
»Was für ein Abschaum«, sagte Chuck. »Warum hat er das getan?«
»Warum hat er Janice umgebracht? Der gleiche Grund. Um es mir heimzuzahlen.«
Chuck ließ sich wie erschöpft in den Sessel fallen. Er schaute auf das Gewehr, dann auf seinen Schwager. »Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich kann schon nachvollziehen, warum du in Versuchung kommst.«
»Es ist mehr als nur eine Versuchung, Chuck. Wenn die Kinder nicht wären …« Er hielt inne, weil ihn irgendwas von seinem ursprünglichen Gedanken abgebracht hatte. »Wo wir davon sprechen: Hast du Jon heute Abend gesehen?«
»Nein, aber ich habe in ihren Zimmern auch nicht nachgeschaut. Warum?«
»Er war noch immer nicht zurück, als ich heute Abend das
Weitere Kostenlose Bücher