Der Antares-Krieg
Einstein postulierte, dann muss es mindestens eine zusätzliche Dimension geben, in die er gekrümmt ist. Wenn die Allgemeine Relativitätstheorie richtig sein soll, muss die Raumzeit mindestens fünf Dimensionen besitzen. Baschir-Ben Suleimans Beitrag bestand in der Hinzufügung einer weiteren (oder sechsten) Dimension. Er folgerte, dass, wenn Einsteins gekrümmter Raum wirklich eine Krümmung in die fünfte Dimension war, sein eigener, in sich gefalteter Raum eine Krümmung in die sechste sein müsse. Um die beiden auseinander zu halten, führte er die Regel des ›vertikal‹ polarisierten gekrümmten Raums – tatsächlich hängt der menschliche Begriff vertikal von der Schwerkraft ab, welche die Hauptmanifestation des gekrümmten Raumes ist – und des ›horizontal‹ polarisierten gefalteten Raumes ein. Er theoretisierte, dass der Ursprung der langen, kompliziert verflochtenen Faltlinien das massive Schwarze Loch sei, das die Mitte der Galaxis einnimmt. Damit gab er sich jedoch nicht zufrieden. Als er feststellte, dass die Faltlinien entlang den Spiralarmen der Galaxis auswärts führen, überlegte er, ob die Linien gefalteten Raumes nicht im Zuge der galaktischen Rotation interstellare Materie aufnehmen und so als Katalysator der Sternbildung wirken. Das Problem der relativen Häufigkeit neuer Sterne in den Spiralarmen hatte Astronomen und Kosmologen seit langem Kopfzerbrechen bereitet.
Den Rest seines Lebens verbrachte Suleiman mit der Ausarbeitung und Verbesserung seiner Theorie. Im Alter von zweiundneunzig Jahren bewies er, dass die Faltlinien der sechsten Dimension durch die Krümmung der fünften Dimension der Gravitation in ganz ähnlicher Weise verzerrt werden wie eine Linse einen Lichtstrahl bricht. Suleiman demonstrierte mathematisch, dass überall dort, wo eine Faltlinie eine Masse von Sterngröße trifft, eine ›Bündelung‹ in ein beschränktes Raumvolumen stattfindet. Gewöhnlich ist der Effekt so gering, dass er nicht gemessen werden kann. Bisweilen jedoch ist der Brennpunkt hinreichend scharf, dass im Raumzeitkontinuum eine Schwachstelle erscheint und ein Faltpunkt gebildet wird.
Zwanzig Jahre nach Suleimans Tod entdeckten Wissenschaftler eine praktische Verwendung für Faltpunkte. Sie brachten ein Raumschiff innerhalb eines der beiden im Sonnensystem bekannten Faltpunkte in Position und setzten große Energiemengen in einem genau kontrollierten Muster frei, um den Raumkrümmungseffekt zu verstärken. Die Energiefreisetzung bewirkte, dass das Schiff in den Faltraum fiel und dadurch augenblicklich zur nächsten Schwachstelle entlang der Faltlinie transportiert wurde. Eben schwebte das Forschungsschiff noch hoch über der Sonne, im nächsten Augenblick befand es sich in einer Umlaufbahn um Luytens Stern, etwa 12,5 Lichtjahre entfernt.
Danach gab es kein Halten mehr, und umgehend begann die Große Auswanderung. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte wurde das Abwandern von Bevölkerungsteilen in den Raum zu einer wahren Flut. Die Verteilung und Form der Auswanderung war nahezu gänzlich vorgegeben von den bestehenden Faltlinien und ihren Faltpunkten. Während manche Sterne nur einen einzigen Faltpunkt besaßen, andere überhaupt keinen, gab es im Umkreis mancher Sterne zwei, drei oder noch mehr. Einen besonders fruchtbaren Boden zur Entstehung von Faltpunkten boten die größten, massivsten Sterne. Der rote Überriese Antares nahm im gesamten, dem Menschen zugänglichen Raum eine herausragende Stellung ein. Antares hatte sechs Faltpunkte, und das machte ihn zum Mittelpunkt eines Geflechts von Sternsystemen am östlichen Rand menschlicher Expansion.
Da die Faltlinien mit dem Spiralarm ausgerichtet waren, der die Sonne enthält, fand die Menschheit es am einfachsten, sich entlang der Achse des galaktischen Arms auszudehnen. Entfernungen zwischen Kolonien wurden nicht nach der räumlichen Distanz zwischen ihren jeweiligen Sternen berechnet, sondern nach der Zahl von Faltpunkten zwischen ihnen. Um den nächsten Stern zu erreichen, war es mitunter notwendig, zuerst zu einem fünfhundert Lichtjahre entfernten Faltpunkt zu springen und dann wieder zurück.
In der frühen Phase der Großen Auswanderung fanden Vermessungsschiffe, welche die Systeme des Antares-Haufens erforschten (diejenigen Sterne, die mit der Faltlinienachse im System Antares verbunden waren), einen erdähnlichen Planeten, der einen namenlosen Stern der Spektralklasse G3 umkreiste, 490 Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt. Sie
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