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Der Aufstand Der Ungenießbaren

Der Aufstand Der Ungenießbaren

Titel: Der Aufstand Der Ungenießbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edo Popovic
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NÄHER KOMMEN
    EXTREME MINENGEFAHR
    Ohne sich um die Warntafel zu kümmern, selbst die Warntafeln lügen heutzutage, was sind das bloß für Zeiten!, läuft er weiter. Alle hatten damals in ihrer Angst Minen um ihre Schützengräben und Bunker gelegt, aber niemand war so dumm gewesen, sie auf einer Straße hinter der Frontlinie auszusäen. Die Straßen brauchte man, um zu fliehen oder Nahrung und Munition anzuschleppen und aufzufüllen. Und von dieser Stelle bis zu den serbischen Bunkern war es noch eine gute halbe Stunde Weges.
    In einer Stunde wird es dunkel, dann müsst ihr Rast machen, bellte das Motorolla.
    Robert hält das nicht aus …
    Ihr müsst Schritt mit dem Norden halten …
    Er blutet stark, er kann nicht mehr …
    Lasst ihn zurück und meldet eure Position, wir schicken die Sanitäter.
    Schon in Ordnung, Jungs, geht nur weiter …
    Er geht bis auf den Kamm des Berges, von wo aus er das Meer und die Inseln sehen kann. Er betrachtet die Umgebung und versucht sich zu erinnern, ob sie Robert damals hier zurückgelassen haben. Sie waren müde gewesen, sie hatten in der Morgendämmerung ihren Angriff begonnen, sie standen unter ständigem Gewehr- und Minenwerferfeuer, Vida schüttelt sich bei dem Gedanken an jenen Tag.
    Während er wie angenagelt dalag und während um ihn herum alles schwirrte, hatte er in einem Spalt in einer Steinplatte eine Blume entdeckt. Fünf winzige, violette Blütenblätter direkt vor seiner Nase. Die Blume zitterte, aber nicht vor Angst, die menschlichen Geschäfte und die Situation, in der sich Vida befand, interessierten sie nicht. Die Blume zitterte im Wind, und Vida zitterte vor Angst.
    Er spürt plötzlich eine Schwäche, dieselbe Schwäche mit kalter Gänsehaut und Zittern, die ihn damals erwischt hatte, als die Sanitäter sagten, dass sie Robert tot aufgefunden hatten. Er setzt sich neben die Straße und blickt auf die spitzen Türme der Tulove Grede. Die Rufe der Soldaten, die Schüsse, das Schreien und die Explosionen sind längst verhallt, nur der Wind pfeift auch weiterhin durch die Felsspitzen und weht durch die Gräser.
    Viele Menschen sind umgekommen oder wurden zu Invaliden – nur wegen dieses kleinen Dreiecks, das auf der Militärkarte seine eigene Nummer hat. Sie hatten es abgeben müssen, hatten es zurückerobert wieder auf-
geben müssen, auf in den Kampf, für das eigene Volk! Alles an einem Tag. Wenn sie die Felsen erobert hatten, wussten sie nicht, was sie mit ihnen tun sollten, sie brauchten sie nicht; und wenn der Feind sie zurückschlug, fehlten sie ihnen nicht. Aber trotzdem stürmten sie wieder vorwärts, fielen und starben am Fuß der Felsen. Die Lebenden versuchten, die Toten und Verwundeten herauszubekommen, und wurden auch selbst verwundet oder getötet. Niemand fragte danach, warum sie das tun. Und wofür überhaupt irgendjemand diese Steinklumpen brauchte. Sie waren wie Fische, die im Wasser ertrinken.
    Robert, Robert, Robert, sagt er laut und denkt, dass der Körper zu einem Wort wurde. Nur ein Geräusch blieb von ihm zurück. Und irgendwann verklingt auch dieses Geräusch und verschwindet. Zum Glück gibt es Felsen, Täler und Bergketten, die noch immer da sind.
    Er geht zurück. Der Wind hat seine Richtung geändert, ein leichter Nordwind weht. Er läuft, ohne stehen zu bleiben. Erst an der Lichtung, die durch einen nackten Bergkamm von der Wiese getrennt ist, auf der er sein Lager aufgeschlagen hat, hält er inne, und eine Zeit lang blickt er nur auf den riesigen Felsen, der im Schein der untergehenden Sonne glüht. Der Felsen sieht wie der Kopf eines Nashorns mit zwei Nasenhöckern aus. Darüber geht gerade ein blasser Mond auf.
    Auf einer Abkürzung durch den Hainbuchenwald klettert er bis zum Fuß des Felsens, der von tiefen Rillen durchfurcht ist. Er läuft bergab zum Rand, hinter dem er einen Steinbrunnen vermutet, auf der Suche nach einem festen Tritt stellt er sich neben einen verkümmerten Dornenbusch. Aus einem Augenwinkel sieht er etwas Grau-Schwarzes, das aus dem Busch nach oben schießt und ihn unter dem Knie trifft. Er taumelt einen Schritt zurück und tritt in eine Rille, er beginnt, auf den Rücken zu fallen, er kann seinen Fuß nicht frei bekommen, und bevor er endgültig fällt, verspürt er einen schrecklichen Schmerz. Dann verliert er das Bewusstsein.
    In der Dämmerung kam er wieder zu sich. Er lag im Gras neben der Straße, mit seinem Rucksack unter dem Kopf. Neben ihm hockte – angelehnt an den Stil einer Axt – ein Mann.

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