Der Auftrag
könnte ihn umbringen!«, zischte Jaryn.
»Warum tust du es nicht? Du bist doch Herr über Leben und Tod, oder irre ich mich?«
»Ich könnte – ja. Menschen von seinem Stand darf ich jederzeit ohne Angabe von Gründen töten. Aber ich habe noch nie jemanden umgebracht. Es würde meine Heiligkeit beschmutzen.«
»Ha! Sagtest du nicht, du habest in der Kurdurquelle gebadet? Dich kann nichts beschmutzen, ist es nicht so? Nur äußerlich. Ja, da wäre ein bisschen Blut an deinen Händen. Aber innerlich bliebest du rein wie ein frisch gewaschenes Laken.«
Jaryn erschauerte. Was Rastafan da sagte, darüber hatte er noch nie nachgedacht. Ja, er konnte den Wärter zerquetschen wie einen Wurm und niemandem wäre es auch nur ein Schulterzucken wert. Was machte diese Vorstellung mit ihm?
»Verschwinde!«, rief er hastig dem Mann vor der Tür zu. Da war etwas in ihm hochgekrochen wie eine giftige Schlange, heiß, dunkel und gefährlich. Ein Monster hatte er bereits freigelassen, die Wollust. Die Mordlust durfte er nicht die Oberhand gewinnen lassen.
Er wandte sich an Rastafan. »Ich habe die Macht zu töten, aber ich benutze sie nicht. Das macht das Edle im Menschen aus. Du jedoch …«
»Ich töte, wenn ich muss«, brummte Rastafan. »Und ich muss es ziemlich oft tun, weil dein König – aber lassen wir das. Ist dir schon etwas eingefallen?«
»Du bist dir sehr sicher, dass ich dir helfe.«
»Weshalb solltest du es nicht tun? Ich verschwinde wieder in meinem Wald, und du betest weiterhin die Sonne an. Aber du weißt, dass wir uns wiedersehen werden, weil ich lebe und irgendwo auf dich warte. So eine Sehnsucht ist süß, viel süßer als du glaubst. Und irgendwann führt uns das Schicksal wieder zusammen. Du bist hinreißend schön, und ich bin auch nicht unansehnlich. Also werden wir es tun. Und dass wir es wieder tun werden, das wird dich am Leben halten, glaube es mir.«
»Nein, nein«, flüsterte Jaryn, aber sein Herz schrie: Ja, ja! – Nur wusste er nicht, wie er Rastafan befreien sollte. »Es steht nicht in meiner Macht«, sagte er leise. »Wärst du lediglich in Margan aufgegriffen worden, hätte ich etwas für dich tun können, aber deine anderen Verbrechen …«
»Meine Schandtaten, hm? Ja, aus deiner Sicht sind es Verbrechen, aber aus meiner Sicht dienen sie dem Überleben, mein Freund. Nun, streng dich an! In diesem hübschen Kopf wird doch auch ein scharfer Verstand wohnen?«
Jaryn bebten die Knie. Er ließ sich vor Rastafan nieder, seines Gewandes nicht achtend, das im fauligen Stroh schleifte, und strich ihm zart über die stoppelige Wange. Sofort packte Rastafan ihn am Handgelenk, und sie sahen sich tief in die Augen.
»Ich werde dich hier herausholen, Rastafan.«
»Ich weiß, Jaryn. Wir beide unter den Felsen, ich sehe uns dort liegen, du bist ganz nackt, und ich habe nichts an.« Er lachte. »Ich möchte, dass dieser Tag kommt.«
»Ich sehe ihn kommen.« Jaryns Stimme war nur noch ein Hauch. »Und soeben ist mir eingefallen, wie ich dich retten kann.«
Kurz entschlossen sprang er auf, öffnete die Zellentür und brüllte nach dem Wärter. Dieser hatte sich dienstbeflissen in der Nähe aufgehalten und kam sofort angewatschelt.
Jaryn leuchtete ihm mit einer Fackel ins Gesicht. Er sah den Angstschweiß in seinem Gesicht und spürte, wie die Verachtung in ihm hochkroch wie ein widerliches Insekt. Dieser Abschaum, der sicher täglich Menschen folterte, verging selbst vor Furcht wie eine Maus vor der Katze. »Hole Borrak her!«, verlangte er herrisch. »Und besorge ein frisches Gewand für den Gefangenen!«
Der Wärter wagte keinen Einwand, obwohl ein kurzes Zucken seiner Lider bewies, dass er den Wunsch sehr ausgefallen fand. Er verbeugte sich linkisch und verschwand. Jaryn sah Rastafan an und erblickte in dessen Miene Vertrauen, aber auch Neugier und Spannung. Jaryn beneidete ihn um diese Zuversicht, die ihm auf natürliche Weise zu eigen war und der er seine Stärke verdankte. Wie konnte ein Gesetzloser wie Rastafan so tapfer, so frohen Mutes sein, so unbeschwert das Leben auslachen, während er selbst von einer geliehenen Macht zehrte, die ihm nicht die Angst, die Unruhe, den Schmerz und die Verwirrung hatte nehmen können – und die damit ihre Hohlheit bewies?
Jaryn erschrak vor den eigenen Gedanken. Er lästerte! Er lästerte soeben alles, was ihn ausmachte. Ohne Achay, ohne den Tempel, die heiligen Gesänge, Gebete und Zeremonien, die Hoheit der zwölf Gewänder, die Gewissheit,
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