Der Auftraggeber
lange im Ausland gelebt.
Am nächsten Morgen durchquerte er die fruchtbare Küstenebene und fuhr das Mittelmeer entlang nach Süden - durch Akko, Haifa, Cäsaräa und Netanja -, bis er schließlich den Strand von Herzlija erreichte.
Sie lehnte an der Balustrade, hatte die Arme verschränkt und blickte zum Sonnenuntergang übers Meer hinaus, während der Wind mit ihrem Haar spielte. Sie trug eine lockere weiße Bluse und die Sonnenbrille einer Frau, die sich verstecken muß.
Gabriel wartete, bis sie von selbst auf ihn aufmerksam wurde. Irgendwann mußte sie ihn sehen. Ari Schamron hatte sie ausgebildet, und keiner Schülerin des großen Schamrons konnte ein Mann entgehen, der unter ihrer Terrasse stand. Als sie ihn dann sah, flackerte ein Lächeln auf, um sofort wieder zu erlöschen. Sie hob ihre Hand zu einem zögerlichen Winken, als hätte sie sie an einer unsichtbaren Flamme verbrannt. Gabriel senkte den Kopf und ging los.
Sie tranken Weißwein auf ihrer Terrasse, machten Konversation und vermieden es, über das Unternehmen, Schamron oder Gabriels Verletzungen zu reden. Gabriel erzählte von seiner Rundreise durch Israel. Jacqueline sagte, sie wäre gern mitgefahren. Dann entschuldigte sie sich dafür, das gesagt zu haben - dazu habe sie kein Recht.
»Weshalb bist du nach all diesen Wochen hier aufgekreuzt, Gabriel? Du tust nie etwas ohne Grund.«
Er wollte noch einmal Tariqs Version der Geschichte hören, wie er sie ihr auf der nächtlichen Fahrt von der Grenze nach New York erzählt hatte. Während sie sprach, blickte er aufs Meer hinaus, beobachtete, wie der Wind Sand aufwirbelte, bewunderte den Silberglanz des Mondlichts auf den Wellen und hörte trotzdem voll konzentriert zu. Als sie fertig war, fehlten weiterhin wichtige Puzzleteile, so daß sich noch immer kein vollständiges Bild ergab. Sie lud ihn ein, zum Abendessen zu bleiben. Gabriel log und behauptete, er müsse dringend nach Jerusalem zurück.
»Ari hat mir erzählt, daß du Israel verlassen willst. Was hast du vor?«
»In England wartet ein Mann namens Vecellio auf mich.«
»Glaubst du, daß du dort sicher bist?«
»Mir passiert nichts. Und was ist mit dir?«
»Meine Story ist weltweit von Presse und Fernsehen breitgetreten worden. Ich kann nie wieder in mein früheres Leben zurück. Ich habe keine andere Wahl, als hierzubleiben.«
»Tut mir leid, daß ich dich in diese Sache hineingezogen habe, Jacqueline. Ich hoffe, daß du mir verzeihen kannst.«
»Dir verzeihen? Nein, Gabriel - ganz im Gegenteil. Ich danke dir. Ich habe genau das bekommen, was ich wollte.«
Ein kurzes Zögern. »Na ja, fast alles.«
Sie begleitete ihn zum Strand hinunter. Gabriel küßte sie sanft, berührte ihr Haar. Dann wandte er sich ab und ging zu seinem Wagen. Unterwegs drehte er sich noch einmal zu ihr um, aber sie war bereits verschwunden.
Er war hungrig, deshalb fuhr er nicht direkt nach Jerusalem zurück, sondern machte in Tel Aviv halt, um etwas zu essen. Er parkte in der Balfour Street, ging zur Sheinkin Street hinüber, schlenderte an schicken Cafés und Luxusgeschäften vorbei und dachte dabei an die Rue St. Denis in Montreal. Unterwegs hatte er das Gefühl, beschattet zu werden. Nichts Bestimmtes - nur allzu häufig ein schon bekanntes Gesicht, eine Farbe, eine Mütze.
Er kaufte an einem Kiosk eine Zeitung und setzte sich damit in ein Straßenrestaurant. Der Abend war warm, auf den Gehsteigen herrschte reger Fußgängerverkehr. Er bestellte Falafel und ein Bier; als er danach die Zeitung aufschlug, fiel sein Blick auf eine Kurzmeldung: ›Benjamin Stone, der eigenwillige Verleger und Unternehmer, wird vor der Karibikinsel St. Martin vermißt. Es steht zu befürchten, daß er ertrunken ist. Nach Auskunft der örtlichen Behörden scheint er nachts von Bord seiner Luxusjacht gefallen zu sein.‹
Gabriel faltete die Zeitung zusammen.
»Und was macht Benjamin Stone?«
»Der relaxt auf seiner Jacht in der Karibik.«
Als das Essen kam, schaute er auf; dabei fiel sein Blick auf einen jungen Mann auf dem Gehsteig: schlank, gutaussehend, schwarze Locken, ein blondes israelisches Mädchen am Arm. Gabriel legte sein Besteck aus der Hand, vergaß alle Vorsicht und Professionalität und starrte ihn direkt an.
Diesen jungen Mann hätte er überall erkannt: Jusef al-Tawfiki.
Gabriel legte reichlich Geld auf den Tisch und verließ das Restaurant. Er folgte ihm eine halbe Stunde lang. Auf der Sheinkin Street, dann die Allenby Street entlang, dann zur
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