Der Auftraggeber
Promenade hinunter. Ein Gesicht kann täuschen, aber der Gang eines Menschen ist manchmal so charakteristisch wie seine Fingerabdrücke. Gabriel hatte Jusef in London wochenlang beschattet. Sein Gang hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt. Seine geschmeidigen Hüftbewegungen. Die Linien seines Rückens. Seine Art, auf den Fußballen zu gehen, als sei er ständig bereit zum Sprung.
Gabriel versuchte sich zu erinnern, ob Jusef Links- oder Rechtshänder war. Er stellte ihn sich vor, wie er an seinem Fenster stand - nur mit einem knappen Slip bekleidet, eine massive, silbern glänzende Uhr am linken Handgelenk. Er ist Rechtshänder. Wenn er von einem Geheimdienst ausgebildet worden war, würde er seine Pistole an der linken Hüfte tragen.
Gabriel ging schneller, verringerte den Abstand zwischen ihnen und zog seine Beretta. Er drückte Jusef die Mündung seiner Waffe ins Kreuz. Dann griff er ihm mit einer raschen Bewegung unter die Jacke und riß die Pistole aus dem Halfter an seiner Hüfte.
Jusef wollte herumfahren.
Gabriel rammte ihm die Pistole noch energischer ins Kreuz. »Keine falsche Bewegung, sonst hast du eine Kugel im Rückgrat.«
Gabriel sprach hebräisch. Jusef stand stocksteif da. »Sag deiner Freundin, daß sie verschwinden soll.«
Jusef nickte der Blondine zu; sie ging rasch davon.
»Weiter!« sagte Gabriel.
»Wohin?«
»Zum Strand runter.«
Die beiden überquerten die Promenade: Jusef voraus, Gabriel, dessen Pistole an Jusefs Niere gedrückt blieb, einen halben Schritt hinter ihm. Sie stiegen eine Treppe hinunter und gingen über den Strand, bis die Lichter der Promenade schwächer wurden.
»Wer bist du?«
»Scheißkerl! Was fällt dir ein, mich so zu überfallen?«
»Du kannst von Glück sagen, daß ich dich nicht erschossen habe. Ich kenne dich als einen von Tariqs Leuten. Du könntest nach Israel gekommen sein, um eine Bombe zu legen oder an einer Bushaltestelle um dich zu schießen. Vielleicht lege ich dich trotzdem um, wenn du mir nicht sagst, wer du bist.«
»Du hast kein Recht, so mit mir zu reden!«
»Wer war dein Führungsoffizier?«
»Auf wen tippst du?«
»Schamron?«
»Sehr gut! Alle erzählen immer, wie clever du bist.«
»Warum?«
»Wenn dich das interessiert, mußt du Schamron fragen. Ich habe nur seine Befehle ausgeführt. Aber ich sag' dir eines: Kommst du noch mal in meine Nähe, leg' ich dich um. Mir ist's egal, wer du früher warst.«
Er streckte seine Hand nach oben gekehrt aus. Gabriel gab ihm die Pistole zurück. Er schob sie unter seiner Jacke ins Halfter. Dann wandte er sich ab und ging über den dunklen Strand auf die hellen Lichter der Promenade zu.
Blitze zuckten über die Hügel Obergaliläas, als Gabriel auf der Seeuferstraße zu Schamrons Villa fuhr. Rami erwartete ihn am Tor. Als Gabriel sein Fenster herunterließ, steckte Rami den Kopf ins Wageninnere und sah sich rasch um. »Er ist auf der Terrasse. Stell den Wagen hier ab, und geh zu Fuß rauf.«
Als Gabriel ausstieg, streckte Rami seine Hand aus.
»Du glaubst doch nicht etwa, ich würde den Hundesohn erschießen?«
»Gib mir einfach die verdammte Waffe, Allon, dann kannst du zu ihm raufgehen.«
Gabriel gab ihm die Beretta und ging die Auffahrt hinauf. Über den Hügeln entlud sich ein Gewitter, dessen Blitze die wogenden Wolken beleuchteten, während ein Sturmwind auf dem See weiße Schaumkronen entstehen ließ. Das Kreischen der Wasservögel erfüllte die Luft. Er sah zur Terrasse auf und erkannte Schamron im flackernden Schein der Gaslampen.
Als Gabriel die Terrasse erreichte, hatte Schamron seine Haltung nicht verändert, aber er sah nicht mehr. die Auffahrt hinunter, sondern beobachtete das Gewitter über den Hügeln. Im nächsten Augenblick hörten die Blitze auf, und der Wind flaute schlagartig ab. Der See wurde wieder glatt, und die Schreie der Wasservögel verstummten. Als einziges Geräusch war jetzt das Zischen von Schamrons hell brennenden Gaslampen zu hören.
Ja, begann Schamron, einen Jusef al-Tawfiki hatte es wirklich gegeben, aber der war tot - im Lager Schatila in der Nacht des Falangistenmassakers mit der gesamten Familie ermordet. Nach der Ermordung der Familie war ein Agent Schamrons im Haus gewesen und hatte alle persönlichen Papiere mitgenommen. Die Familie al-Tawfiki hatte im Libanon keine Verwandten. Nur einen Onkel in London - einen Onkel mütterlicherseits, der seinen kleinen Neffen nie gesehen hatte. Ein paar Tage später taucht in einem Krankenhaus in Westbeirut
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