Der Aurora Effekt
vorstellen«, begann der Hagere mit leiser Stimme zu sprechen, »und mein Name ist Leon Windhorst, ich bin der Projektleiter der Mission«. Er wies mit einer einladenden Geste auf die unbequem aussehenden Stühle und sie nahmen Platz.
Winter breitete seine Unterlagen aus und begann mit der Präsentation. Immer wieder blickte er in die Gesichter der DLR-Angestellten, ob er darin eine Reaktion ablesen konnte. Der Projektleiter wirkte gänzlich unbeteiligt, so als warte er nur darauf, dass Winter endlich zum Abschluss kommt. Die Pressesprecherin lächelte ihn dagegen die ganze Zeit nur herausfordernd an. War das reine Professionalität oder steckte mehr hinter diesem strahlenden Blick, fragte sich Winter die ganze Zeit leicht irritiert und so kam er dann auch gleich an zwei Stellen kurz aus seinem Konzept. Schnell sammelte er sich jedoch wieder und zückte die richtige Folie. Falk, der dies von Winter nicht gewohnt war, zuckte nur kurz mit den Augenbrauen und warf Winter einen mahnenden Blick zu.
»Das hört sich ja alles sehr interessant an,« setzte Windhorst an und erhob sich nach der in Winters Augen gelungenen Präsentation, »wir werden das in Ruhe beraten und uns bei Ihnen in den nächsten vier Werktagen melden«, versprach er unverbindlich.
Falk sprang ebenfalls gleichzeitig auf und reichte ihm die Hand. »Vielen Dank, dass sie sich die Zeit für uns genommen haben.«
»Es hat uns wirklich sehr gefreut, dass sie sich die Mühe gemacht haben, herzukommen. Sie haben hervorragende Arbeit geleistet«, strahlte die Frau Winter mit einem umwerfenden Lächeln an.
»Die Freude war ganz auf unserer Seite, wir wären sehr glücklich, wenn wir unsere Geschäftsbeziehung mit Ihnen in Kürze vertiefen könnten«, gab dieser lächelnd zurück, worauf er von Angelique Brockhaus noch ein strahlenderes Lächeln erntete.
Sie gingen gemeinsam zur Tür und verabschiedeten sich. Zunächst schüttelte Winter die etwas lasche Hand des Wissenschaftlers mit einem etwas zu kräftigen Händedruck, so, dass dieser nach Luft schnappend aufstöhnte. »Oh sorry«, entschuldigte sich Winter rasch bei ihm. Wo war er nur mit seinen Gedanken.
»Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns bald wieder treffen würden«, sagte Brockhaus an Winter gewandt.
Sie reichten sich die Hände. Der sanfte Händedruck, der Augenkontakt beim Abschied, beides ungefähr eine halbe Sekunde zu lange. Sie hatten eine Grenze überschritten und Winter wurde es mulmig.
Schweigend ging er hinter Falk zum Auto und sie begaben sich auf die Heimfahrt. Im Radio lief ›In the air tonight‹ von Phil Collins und ein prasselnder Regen hatte eingesetzt, als sie die A1 in Richtung Hamburg zurückfuhren.
»Würde dir gut tun«, setzt Falk an und blickte kurz zu Winter auf den Beifahrersitz herüber.
Winter ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Was meinst Du?«
»Dass es endlich Zeit wird, Isabel zu vergessen. Junge, das ist über ein Jahr her, als sie dich hat sitzen lassen und du seitdem wie ein Häufchen Elend jeden Tag an deinem Schreibtisch sitzt«, redete Falk ruhig weiter.
Winter stierte auf die nasse Fahrbahn und ihm gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Ein Polizeiwagen schoss mit Blaulicht und hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Isabel, er vermisste sie noch immer so unglaublich. Jeden morgen wachte er auf und fühlte im Bett neben sich, wo er nur ein kaltes, verlassenes Laken vorfand. Er war einfach noch nicht bereit, einen Abschluss zu machen. Dennoch fühlte er ein Kribbeln im Bauch, das er schon lange nicht mehr verspürt hatte. Diese Angelique Brockhaus ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Bedeuteten die versteckten Signale wirklich mehr oder waren das professionell einstudierte Gesten einer Pressesprecherin? Winter überkam eine tiefe Müdigkeit, er reckte sich und schloss die Augen.
Tags darauf kam Winter viel zu spät ins Büro. Er konnte am Abend zuvor erst nicht einschlafen und wurde dann die Nacht über von Erinnerungen an Isabel heimgesucht. Ihr erster gemeinsamer Urlaub, den sie schon nach wenigen Tagen abbrechen mussten, weil sintflutartiger Regen ihr Zelt überflutet hatte, das erste gemeinsame Weihnachtsfest bei ihren Eltern oder den knuddeligen Stoffhasen mit dem einen schiefen Ohr, den er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. Mitten in der Nacht lief er rastlos durch seine kleine Wohnung in Hamburg-Harburg und legte sich danach wieder ins Bett. Erst gegen vier Uhr fiel er in einen tiefen, traum-losen Schlaf.
Peter Falk
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