Der Bastard und die Lady
mich führen? Drohst du mir, mich auf die Straße zu setzen, Thomas?“
Er seufzte. „Ich wollte nicht, dass es so weit kommt, aber ich habe bis zu deiner Verheiratung die alleinige Verfügungsgewalt über deine Geldmittel von Mama. Dank meiner Großzügigkeit hast du ein Dach über dem Kopf. Du hast Brot auf dem Teller und Kleider am Leibe, weil ich ein fürsorglicher und versöhnlicher Mensch bin. Aber wichtiger noch ist, dass Francis und ich aufgrund deiner eigensinnigen modernen Ansichten Gefahr für deine unsterbliche Seele wittern, Chelsea. Ich fürchte, du lässt mir keine andere Wahl, als diese Entscheidung für dich zu treffen. Das Aufgebot wird gleich am Sonntag in Brean bestellt, und dort wirst du Ende dieses Monats mit dem Reverend verheiratet.“
Chelsea war hin- und hergerissen zwischen Panik und Zorn. Der Zorn obsiegte. „Den Teufel werde ich tun! Du glaubst, du wärst dem Tod knapp entronnen, und die Antwort darauf ist, mich zu opfern? Du hast wohl völlig den Verstand verloren! Das tu ich nicht, Thomas. Nein. Lieber beziehe ich Quartier unter der Brücke von London.“
Der Earl schlug das Predigtbuch auf und senkte den Blick auf die Seite, zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war. Doch das Zittern seiner Hände konnte er nicht verbergen, und Chelsea wusste, dass es ihr beinahe gelungen wäre, seine Geduld über den Punkt hinaus zu strapazieren, den Reverend Flotley als zuträglich für die Seele ihres Bruders erachtete. „Die Brücke von London kommt nicht infrage. Wir brechen morgen Früh nach Brean auf, wo du bis zur Trauungszeremonie sicher verwahrt sein wirst.“
Chelseas Magen krampfte sich zusammen. Er wollte sie bis zur Hochzeit gefangen halten. „Sicher verwahrt? Eingesperrt meinst du, nicht wahr? Das kannst du nicht tun, Thomas. Thomas! Sieh mich an! Ich bin deine Schwester, nicht dein Besitztum. Das kannst du nicht tun.“
Er schlug die Seite um und ignorierte Chelsea.
Sie machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete aus dem Zimmer. Wie Bienen schwirrten ihr verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf … und besonders ein Gedanke setzte sich fest, dank einer von Thomas heraufbeschworenen Erinnerung.
Im Foyer angekommen trug sie dem Diener auf, ihre Stute vorführen zu lassen. Dann stürmte sie die Treppe hinauf, um Reitkleidung anzulegen, bevor ihr Bruder zu Verstand kam und begriff, dass eine vorgewarnte Gefangene von morgen besser schon heute eine Gefangene sein sollte.
„Also, ich liege hier und überlege, und jetzt habe ich eine Frage an dich. Bist du bereit? Verdammt und zugenäht, Mann, bist du überhaupt wach?“
Irgendwo in der Nähe ertönte ein gedämpftes und schwach Mitleid erregendes Stöhnen, und Beau wandte den Kopf auf dem Sofakissen – nicht ohne ein Mindestmaß an Unbehagen im Schädel zu spüren – und sah seinen jüngsten Bruder auf dem Sofa gegenüber liegen, bäuchlings und noch in voller Abendgarderobe. Allerdings hatte er anscheinend einen seiner schwarzen Abendschuhe verloren.
„Ein Stöhnen reicht, danke. Also, hör jetzt bitte zu – wie blau ist man, wenn man blau ist wie ein Lord?“, fragte Beau Blackthorn an Robin Goodfellow Blackthorn gewandt, den seine Geschwister und viele Freunde liebevoll Puck nannten.
„Gute Frage, Beau, wirklich. Aber ich weiß nicht recht“, antwortete Puck, ein weiteres Opfer der ausgeprägten Bewunderung ihrer lieben Theater spielenden Mutter für William Shakespeare, hob den Kopf und blinzelte durch das lange dunkelblonde Haar, das ihm ins Gesicht fiel. Eingehend betrachtete er eine Messingfigur, die eine spärlich bekleidete Göttin mit sechs – nein, acht merkwürdig verrenkten ausgestreckten Armen darstellte. Das hoffte er zumindest, denn wenn in Wahrheit nur zwei Arme vorhanden wären, dann war er so blau, wie ein Lord in der langen Geschichte der Lords nur sein konnte. „Doppelt so blau wie eine … wie heißt das gleich? Drei Räder, Transportmittel. Für Erde, Stein. Rüben. Warte, warte, ich hab’s gleich. Ach, ja. Eine Schiebkarre? Das ist es, blau wie eine Schiebkarre.“
Beau blickte auf die halbleere Weinflasche, die er aufrecht an seine Brust gedrückt hielt. Alle Viere von sich gestreckt, saß er auf dem zweiten Sofa der Garnitur im Salon und stellte fest, dass er keinen Drang mehr verspürte, den restlichen Flascheninhalt zu konsumieren. Nicht, wenn er immer noch so betrunken war, dass er seinen respektlosen und schwachköpfigen Bruder um Antworten auf irgendwelche Fragen bat. Außerdem
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