Der Bastard
Exotische Federn, Kerze n u nd M a cheten verliehen dem Raum eine unheimliche Aura.
Eine Stimme überraschte Kilian. «Kann ich Ihnen helfen?»
Er drehte sich um und blickte in das schwarze Gesicht einer Frau. «Entschuldigung, dass ich einfach so eingedrungen bin.»
«In meinem Haus ist jeder willkommen.»
«Mein Name ist Johannes Kilian. Ich bin von der Kriminalpolizei.»
«Die Polizei hatte ich schon lange nicht mehr hier. Es scheint, als ob sie ohne den Schutz meiner Geister auskäme.»
«Darf ich fragen, wer Sie sind und wo ich hier bin?»
«Sicher. Sie befinden sich in einem Tempel des Voodoo, einem Ounfò, und ich bin die Priesterin, die Manbo. Sie können mich aber auch Ubunta nennen. Das ist mein Name. Möchten Sie meinen Ausweis sehen?»
«Nicht nötig.»
Kilian hatte Schwierigkeiten, sich zu konzentri e ren. Zu verstörend war die fremde Umgebung, in der er sich befand. Diese äußerst bizarren Gegenstände, dann ein bittersüßer Geruch, der von einer der Kerzen zu stammen schien.
«Wie kann ich Ihnen helfen?», fragte Ubunta.
«Entschuldigung, ich bin etwas verwirrt. Ich war noch nie in einem Voodootempel, und ich habe auch noch nie eine echte Voodoopriesterin kenneng e lernt.»
Ubunta lächelte und ging auf ihn zu. «Keine Angst. Ich reiße Ihnen nicht gleich das Herz bei l e bendigem Leib heraus und erwecke auch keine Zombies zum Leben. Da s s ind Hollywood-Klischees. Ich bin eine ganz normale Frau, die eine Verbindung zwischen den Me n schen und dem jenseitigen Reich herstellt. So wie es Ihre Priester in den Kirchen auch tun.»
«Apropos Kirchen, was haben christliche Heiligenbilder in einem Voodootempel verloren? Ich dachte immer, Voodoo sei eine heidnische Naturreligion.»
«Was den Begriff heidnisch betrifft, stimme ich Ihnen nicht zu. Aber es ist sicherlich eine Religion, die aus der prallen Natur entstanden ist und nicht wie das Christentum in der Wüste. Insoweit unte r scheiden sich Ihre germanischen und keltischen Riten gar nicht so sehr vom Voodoo, der aus Afrika stammt und in Haiti zur Blüte gereift ist. In einem Wald oder einem Urwald gibt es einfach bedeutend mehr Leben, das auf einen höheren Geist schließen ließe, als in einer kargen Wüstenlandschaft. Und was die christlichen Heiligenbilder angeht, nun, die sind ein nicht ganz freiwilliges Zugeständnis meines Volkes an die Sklaverei der Weißen.»
«Die Sklaverei? Was hat die damit zu tun? Entschuldigen Sie meine Unkenntnis.»
«Es begann mit der Entdeckung Haitis 1492 durch Christoph Kolumbus. Die durch und durch christl i chen spanischen Eroberer hatten nichts Eiligeres zu tun, als die Indios in den Goldminen schuften zu lassen. Als deren Zahl nach wenigen Jahren von vierhunderttausend auf knapp tausend geschrumpft war, begannen die Spanier, meine Brüder und Schwestern von der Westküste Afrikas in die neuen Kolonien zu transportieren. Mit ihnen kam auch der Voodoo in die Neue Welt. Da die christlichen Herren, später waren es die französische n P lantagenbesitzer, nichts mehr fürchteten als einen Z u sammenschluss der schwarzen Sklaven, verboten sie ihre Kultur und drängten sie ins Christentum.
Da dies aber die Religion der Weißen war, hatten sie damit keinen Erfolg. Stattdessen integrierten die Sklaven Symbole und Bilder des Christentums in ihre Religion. Somit machten sie den Anschein, b e kehrt zu sein, und wiegten die Herren in Sicherheit. Eine Art der Assimilation, bei der das Neue eing e gliedert wird, ohne das Alte aufzugeben.
Eine ähnliche Entwicklung gab es auch in Afrika in den letzten Jahrzehnten. Der Voodoo ist niemals von der Christianisierung wirklich verdrängt worden. Die beiden Religionen leben einträchtig nebeneinander, wenngleich die volle Blüte des Voodoo in Haiti aufgegangen ist. Ich habe die Praktiken dort studiert und bringe sie nun zurück nach Afrika.»
Kilian blickte sich aufmerksam um. «Was hat diese verzierte Säule inmitten des Raums zu bedeuten? Stützt sie das Zelt?»
«Das ist der Poto Mitan, der heilige Baum, der die Verbindung zwischen Himmel und Erde darstellt. Durch ihn gelangen die Geister in die Gemeinschaft.
Wir haben hier leider nicht genügend Raum, deshalb ist alles improvisiert. Normalerweise würden sich an den Gemeinschaftsraum, in dem die Zeremonien stattfinden, separate Altäre, die Badji, anschließen. Doch für die Dauer des Festivals sollte es gen ü gen.»
«Ich würde gern einmal an so einer Zeremonie teilnehmen. Ist das möglich?»
«Sicher,
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