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Der Beethoven-Fluch

Der Beethoven-Fluch

Titel: Der Beethoven-Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M.j. Rose
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hoffnungsvollen Ansatz gehalten, ja sogar für eine verblüffende, märchenhafte Vorstellung. Denn falls das Prinzip stimmte, dann bedeutete es ja, dass die Einsamkeit und Sehnsucht unzähliger Menschen einmal ein Ende haben musste. Aber so ganz hatte sie es doch nie geglaubt.
    Die Knochenflöte an die Lippen setzend, blies sie zaghaft ein C. Das Instrument wirkte dermaßen brüchig und spröde – Meer hatte Angst, es könne beim Spielen zerbrechen. Ein unbeholfenes Quäken entsprang dem knöchernen Rohr, der misslungene Versuch eines Tons. Meer probierte es noch einmal und wartete, doch in ihrem Inneren tat sich nichts. Was hatte sie auch erwartet? In ihren Erinnerungssprüngen wollte Major Wells ja die Flöte nur dann, wenn gleichzeitig die Melodie mitgeliefert wurde. Ohne die Tonfolge war das Instrument lediglich ein Kuriosum, weiter nichts. Möglicherweise war sie das sogar mitsamt Lied!
    Der Kerzenhalter, den Sebastian auf dem Tisch beim Klavier stehen gelassen hatte, zauberte flackernde Schatten an die Wände – ein gespenstisches Licht, bei dem Meer die Flöte noch einmal eingehend betrachtete.
    Eines ihrer Lieblingsgemälde im Metropolitan Museum of Modern Art war eine melancholische Nachtszene von Georges de la Tour: die “Büßende Magdalena” . Auf diesem Bild sitzt eine zierliche, braunhaarige Frau mit abgewandtem Gesicht in einem abgedunkelten Zimmer vor einem prächtig gerahmten Spiegel. Der Widerschein einer brennenden Kerze taucht die Betrachterin in ein geheimnisvolles Licht. Auf dem Tisch vor ihr sieht man eine abgelegte Perlenkette, auf dem Boden goldene Hals-und Armbänder. Auf dem Schoß hält die Frau einen Totenschädel.
    Auch die Flöte in Meers Händen nahm diese mysteriöse Färbung an. Sie schimmerte ebenso schaurig wie der Schädel auf dem Gemälde.
    Den Blick angestrengt auf das Flötenrohr mit den zahllosen Schnörkeln und Verzierungen gerichtet, bemühte sich Meer, auch nur ein vertrautes Muster herauszufinden. Ohne Erfolg. Ob es sich um eine längst untergegangene Hieroglyphenschrift handelte oder um bedeutungslose Symbole, war ihr ein Rätsel, und sie konnte sich auch aus ihren Erinnerungssprüngen nicht daran entsinnen. An eins allerdings erinnerte sie sich genau: wie sich der Knochen in ihren Händen anfühlte … in einer Zeit, in der sie das schlanke Rohr schon einmal berührt hatte … gestohlen aus einem an einem Ast hängenden Gefäß … am Ufer eines Flusses in einem Land, das sie nicht zu benennen wusste.
    Etwa eine Handspanne lang und knapp zwei Daumen dick: zu klein, um Devadas’ Elle oder Speiche, Schien-oder Wadenbein zu sein. Aber ein Stück davon durchaus.
    Devadas?
    Über all die Jahre hinweg hatte sie sich urplötzlich und unerklärlich an den Namen des Mannes erinnert, der sie einst in den Armen gehalten hatte. Er war ihr so vertraut, der Name, wie jene so schwer fassbare Musik, die sie nun schon seit Kindertagen hörte.
    Flüsternd sprach sie den Namen. “Devadas.”
    Mit geschlossenen Augen versuchte sie angestrengt, noch mehr von jenen Erinnerungssprüngen hervorzurufen, die Margaux in Beethovens Badener Wohnung erlebt hatte. Jene, in denen es um die Bestattungszeremonie und den Knochen ging. Aber sie sah bloß ein Gewirr aus Tausenden hauchdünner Spinnweben, die einen Zeitraum mit einem anderen verbanden. Irgendwo im Zentrum dieses Gebildes befand sich die Gewissheit, dass die Schnörkel auf der Flöte Ziffern darstellten – Ziffern, die wiederum die Töne für die Melodie der untergegangenen Erinnerungen ergaben.
    In dieser Beziehung hatten Caspar Niedermeier und Rudolph Toller recht gehabt. Und Beethoven ebenfalls.
    Meer musste unbedingt ihren Vater anrufen. Die Zeichen auf der Flöte waren von Menschen gemacht: ein uraltes Alphabet aus Tönen. Möglich, dass Jeremy etwas darüber wusste. Vielleicht bestand ja ein Zusammenhang zur Gematrie, jener uralten Technik der Interpretation von Worten mithilfe von mystischen Zahlen. Eine heilige Sprache, über die Jeremy schon sein Leben lang forschte.

68. KAPITEL
    M ittwoch, 30. April – 21:15 Uhr
    “Sie hätten Ihren Vater nicht anrufen dürfen!”, monierte Sebastian. “Immerhin – falls der Anruf durch die Telefonzentrale ging, besteht zumindest keine Gefahr, dass er abgehört wurde. Malachai dürfen Sie auch nicht anrufen. Könnte sein, dass sein Zimmeranschluss angezapft wird. Es gibt ja außer uns noch mehr Leute, die scharf auf das sind, was da neben Ihnen liegt.”
    Eine nach der anderen

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