Der Beethoven-Fluch
Synagoge? Könnte das sein?”
“Nein, er teilte mir lediglich mit, es sei etwas Geschäftliches und …”
Meer ließ ihn gar nicht ausreden. “Kommt er nach dem Gottesdienst gewöhnlich hierher?”, fragte sie die junge Dame.
“An Samstagen schon, besonders vor großen Versteigerungen so wie kommenden Mittwoch”, antwortete die. “Aber ich glaube, da sollten Sie sich mit Enid unterhalten. Die wird Ihnen mehr sagen können.” Sprach’s und verschwand.
Kurz darauf erschien eine energisch wirkende Frau, makellos gekleidet in schwarzen Hosen und einem karamellfarbenen Blazer, das goldblonde Haar straff aus dem Gesicht frisiert. Sie stellte sich als Enid Parnell vor und begrüßte die beiden mit Handschlag. “Ich bin die stellvertretende Kuratorin der Abteilung”, erklärte sie in gepflegtem britischem Englisch. “Ich habe Sie gleich erkannt – von dem Foto, das im Büro ihres Vaters steht.”
Ehe Meer darauf reagieren konnte, kam Inspektor Fieske auf die Gruppe zu. Er nickte Meer und Sebastian zu und fragte die Kuratorin etwas auf Deutsch.
“Do you speak English?”, erkundigte sie sich.
Fieske bejahte.
“Dann lassen Sie uns lieber Englisch sprechen, wenn’s Ihnen nichts ausmacht. So versteht auch Mr. Logans Tochter, worum es geht.”
“Meinetwegen. Also, im Haus von Mr. Logan hat es einen Vorfall gegeben. Wir sind jetzt auf der Suche nach Mr. Logan. Können Sie uns sagen, wo er ist?”
“Einen Vorfall?”
Fieske hatte offenbar keine Lust, Fragen zu beantworten. Viel lieber stellte er sie. “Ist er unterwegs hierher? Anscheinend weiß niemand Bescheid.”
“Ja. Wir erwarten ihn im Laufe des Tages.”
“Wissen Sie, wo er sich momentan aufhält?”
Sie zögerte. “Was denn für ein Vorfall?”
“Miss Parnell, die Sache ist sehr ernst. Wenn Sie wissen, wo Mr. Logan steckt, dann sagen Sie’s mir bitte. Wir müssen umgehend Verbindung mit ihm aufnehmen.”
“Ich kann Ihnen seine Handynummer geben.”
“Die haben wir schon. Mr. Otto hat sie uns in Mr. Logans Haus überlassen, er geht aber nicht ran. Also fangen wir wieder bei Null an. Wo ist Jeremy Logan, Miss Parnell?”
“Ist er in Gefahr?”
“Gäbe es denn Anlass zu einer entsprechenden Befürchtung?”
“Ein Risiko ist nie auszuschließen. Wegen der Gegenstände, mit denen er zu tun hat … Wir alle, die wir hier arbeiten, sind potenziell gefährdet.” Sie nestelte nervös am goldenen Gliederarmband ihrer Uhr, öffnete und schloss die Lasche in unregelmäßigen Abständen.
“Sie behindern unsere Ermittlungen.”
Die Fummelei am Armband wurde noch hektischer. “Er ist in Genf. Er trifft sich da mit einem Grafologen. Dr. Schmettering.”
“In Genf?” Verdattert wandte Meer sich zu Sebastian Otto um, aber der zuckte nur die Schultern.
Der Inspektor ließ sich sämtliche relevanten Informationen zu Dr. Schmettering geben, eingeschlossen Telefonnummer und Adresse, die Enid Parnell allesamt aus dem Gedächtnis herunterrasselte. Während sie noch dabei war, entfernte sich eine offenbar untergeordnete Angestellte von dem Grüppchen und klappte ein Mobiltelefon auf.
Enid Parnell wandte sich derweil an Meer. “Gehen wir doch in das Büro Ihres Vaters und warten dort. Hier entlang.” Spontan drehte sie sich noch einmal zu Fieske um. “Ist Ihnen doch recht, oder?” Obwohl sie es wie eine Frage formulierte, hörte man doch heraus, dass es nicht als solche gemeint, sondern eher eine Mitteilung war. Fieske hatte keine Einwände.
Wie seine heimische Bibliothek, so war auch Jeremys Dienstzimmer bis zum Gehtnichtmehr vollgestopft mit Büchern und Katalogen, die sich auf jeder verfügbaren Fläche stapelten. An großen, drei Zimmerwände einnehmenden Korkplatten waren Fotos von religiösen Kultobjekten sowie Karten von Europa befestigt. Der Schreibtisch wirkte zwar aufgeräumt, doch zwischen dicken Aktenstapeln, Katalogen, einem Computer, einigen exotisch anmutenden gläsernen Papierbeschwerern und einer Dose mit Stiften blieb kaum noch Platz. Sebastian nahm ein silbergerahmtes Foto zur Hand. Es zeigte eine dunkelhaarige Frau, die sich über ein ungefähr fünfjähriges Kind beugte, das wiederum die Mutter an der Wange berührte. Die Szene zeigte das Gegenteil dessen, was man an sich erwartete: das Kind, das die Mutter tröstet, nicht umgekehrt.
Er reichte Meer das Bild. Sie nahm es entgegen, studierte das so natürlich wirkende Porträt und streckte dabei automatisch die Hand aus, als wollte auch sie die Wange der Mutter
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