Der Befehl aus dem Dunkel
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Wieder standen Georg und Anne auf dem Bahnsteig. »Das wäre ja wirklich sehr schön, Anne, wenn dein Schwager seine Absicht ausführte und demnächst nach Deutschland käme. Ganz besonders würde ich mich natürlich freuen, wenn er, wie deine Schwester einmal andeutete, vorübergehend nach Neustadt käme. Obgleich ich nicht recht weiß, was er jetzt, nachdem dein Vater tot ist, in Neustadt will.«
»Ach, ich würde mich ja so freuen, Georg, wenn wir wirklich für einige Zeit nach Neustadt kämen. Aber rechne bitte nicht sicher damit. Ich habe dir ja einen kleinen Einblick in die Lebensweise Alfreds gegeben. Da kann morgen oder jetzt schon ein anderes Geschäft aufgetaucht sein, und wir fahren vielleicht nach Madrid oder Konstantinopel.«
Georg wollte etwas sagen. Anne strich ihm beschwichtigend über das Gesicht. »Nein, nein! Sprich nichts, Lieber! Hätte ich nur nichts gesagt! So schlimm ist es ja gar nicht. Sieh mal, ich lerne doch auf diese Weise die Welt kennen und sehe vieles Schöne.«
»Schweig, Anne! Wenn du wüßtest, wie ich über all das denke! Ich verzweifle bei dem Gedanken, dich noch wer weiß wie lange Zeit bei diesen Forbins lassen zu müssen.«
»Georg, bitte! Erschwere uns nicht noch mehr den Abschied.
Ich will ja auch gern glauben, daß wir bald nach Deutschland fahren. Ein paar Wochen in der alten Heimat mit dir zusammen … Lange Zeit würde ich davon zehren.«
Die Schaffner riefen zum Einsteigen. Die Türen schlugen zu.
Lange noch blickte Georg Astenryk nach einem weißen Tuch, das vom Bahnsteig winkte.
Der Zug hatte die Grenze passiert. Georg kaufte sich einen Stoß neuer Zeitungen. Fast in jeder als Schlagzeile: China ist von der Antwort Englands auf seine Demarche nicht befriedigt. Protestversammlungen in Peking. Lärmende Kundgebung ge gen England. —
Der Zug rollte über die Rheinbrücke. Georg Astenryk legte die Zeitungen kopfschüttelnd beiseite. Wann würde dieser Erdball einmal zur Ruhe kommen?
Das alte, vertraute Landschaftsbild lenkte die Gedanken Georgs auf die nahe Heimat. Arbeit über Arbeit wartete da auf ihn. Seine Gedanken gingen zu seinem Laboratorium, zu den Experimenten mit der hundertprozentigen Kohlenausnutzung.
Ob Marian wohl alles, was er ihm aufgetragen, planmäßig durchgeführt hatte?
Wie mochte es wohl mit seinen anderen Arbeiten aussehen?
Der Konkurs, die Notwendigkeit, sich neue Lebensmöglichkeiten zu verschaffen, hatten ihn gezwungen, ein anderes, verwandtes Problem in Angriff zu nehmen. Schon früher, beim Beginn seiner Arbeiten an der großen Aufgabe der restlosen Umwandlung der Kohlenenergie in Elektrizität, war ihm die Frage aufgestoßen, ob er nicht gleichzeitig dem damit zusammenhängenden Problem der Diamantensynthese nachgehen solle.
So lockend die Aufgabe schien, er hatte sie immer beiseitegeschoben. Doch jetzt, nach seinem eigenen finanziellen Zusammenbruch setzte er seine Zukunftshoffnungen in erster Linie auf das Gelingen der Diamantensynthese.
Zu niemandem, selbst zu Marian nicht, hatte er von diesen Ideen gesprochen … Und doch war Marian der einzige, der außer Anne seinem Herzen besonders nahestand.
Marian Heidens, sein getreuer Freund und Gehilfe. Die Türme von Neustadt tauchten auf. – Georg war wieder in der Heimat und nahm den Weg zum väterlichen Haus. Ein leises Frösteln überkam ihn, als sein Blick über die ausgedehnten Werkanlagen ging. Die langgestreckten Hallen, die früher Tag und Nacht widerhallten vom Gedröhn der Maschinen, lagen verödet.
Beinahe hundert Jahre hatte die Firma Astenryk & Co. bestanden. Hätte sich wohl jener Lorenz Astenryk träumen lassen, daß sein stolzes Werk unter dem Urenkel zusammenbrechen würde? … Wieder dieser leise Zwiespalt in seinem Innern. War es recht von ihm gewesen, jenen traditionellen Grundsatz des deutschen Kaufmanns beiseite zu schieben, der gebot: Alles … jeden Blutstropfen, jeden Gedanken dem Werk … Ja! … Und immer wieder ja! Er hatte es tun müssen. Sein Sinnen und Streben ging höheren Zielen zu. Seine Arbeit, wenn der Wurf gelang, mußte ihm das Verlorene hundertfach wiederbringen. Mußte den Namen Astenryk in stärkerem Glanz erstrahlen lassen. Unmöglich für ihn der Gedanke, seine Erfindung und sich jener französischen Gruppe auszuliefern, um das väterliche Werk zu retten.
Er schüttelte sich, wie um letzte Zweifel zu verscheuchen, und ging zum Wohnhaus. Als er aufgeschlossen hatte und die Tür öffnete, schrak er leicht zusammen. Die elektrischen
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